Indische Begegnungen
Indien ist ein wunderschönes Land, ein zärtliches, ein liebevolles Land, ein zutiefst spirituelles Land, ein erschreckend grausames Land mit unglaublichen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen/sozialen Problemen, ein spirituell ausgebranntes Land, ein Land mit unvorstellbarem Reichtum und ebenso unvorstellbarer Armut, ein Land der größten Extreme. Als Beispiel für die großen Probleme Indiens seien hier zwei wichtige von einer Vielzahl genannt: Der von der hindu-nationalistischen Regierung verfolgte nationalistische Kurs (Indien den Hindus) und die massiven Umweltprobleme (Luftverschmutzung, Krise in der Landwirtschaft usw.). Indien bezeichnet sich gerne als die größte Demokratie der Welt. Progressive Denker/innen Indiens, wie z. B. die Schriftstellerin Arundathi Roy sehen dieses Narrativ jedoch in großer Gefahr. Man schaue sich nur einmal die Pressefreiheit an. Hier rangiert Indien derzeit auf einem der hintersten Plätze von 180 Staaten.
Indien ist aber auch ein Land mit einer unglaublich reichen Geschichte, ein Land der bedeutenden Entdecker und Wissenschaftler. Z. B. erfanden ca. 400 n. Chr. indische Mathematiker das Dezimalsystem, und ca. 500 n. Chr. erkannten indische Astronomen, dass die Welt Kugelgestalt hat und sich um ihre Achse dreht, und das Schachspiel wurde während der Gupta-Periode ( 4.- 7. Jahrhundert) erfunden. Auf keinen Fall dürfen auch die beiden großen indischen Nationalepen, das Ramayana und das Mahabharata in der Aufzählung fehlen. Das Mahabharata umfasst ca. 100000 Doppelverse und soll ca. 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. entstanden sein. Übersetzte Textfassungen umfassen 18 Bände. Es enthält auch die wichtigste "Heilige Schrift" der Hindus, die Bhagavad Gita (Der Gesang des Erhabenen). Das Ramayana umfasst 7 Bände mit ca. 24000 Doppelversen und ist in etwa zur gleichen Zeit entstanden wie das Mahabharata( s. z.B. www.pushpak.de). Hinzu kommen noch die ganz frühen heiligen, philosophischen Schriften, die Veden, und darin enthalten, die Upanishaden, entstanden lange Zeit vor den vorgenannten Epen. Als vedisches Zeitalter, vedische Periode wird nach Helmut v. Glasenapp "Die Philosophie der Inder" die Zeit von ca. 2000 v. Chr. - 550 v.Chr. angegeben, die vedischen Hymnen werden der Zeit von 2000 v. Chr. - 1000 v. Chr., und die Upanishaden, sozusagen die Interpretation, der Kommentar zu den Veden der Zeit von 750 v. Chr. 550 v. Chr. zugerechnet. In einigen Quellen ist zu finden, dass die Veden den ungefähr 7-fachen Umfang der Bibel haben sollen. Das sind nur einige Beispiele der wunderbaren, unglaublich reichen Kultur Indiens, diesem Land mit wunderbaren Menschen, großen Musikern, Dichtern und Malern, mit Menschen, die ganz erstaunliche, fast unglaubliche Dinge tun und in Bewegung bringen.
Ein Beispiel dafür: Ein Nachrichtenmagazin berichtete einmal über einen Mann namens Dashrath Manjhi, der sog. Mountain Man, dessen Dorf durch einen hohen Felsen von der nächsten Stadt abgeschnitten war. Eines Tages verletzte sich seine Frau schwer, und ihr Mann trug sie die ca. 70 km um den Felsen herum zum nächsten Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin verstarb sie. Danach beschloss Dashrath, einen Weg durch den Felsen zu schlagen. Er hat mit einem Vorschlaghammer, Brecheisen und Meißel 22 Jahre dafür gebraucht, und es geschafft. Jetzt müssen die Dorfbewohner nur noch ca. 15 km zur Stadt laufen. 2007 verstarb Dashrath an Krebs, und in seinem Dorf wird er wie ein Held verehrt und ist ein Vorbild dafür geworden, in anderen Bereichen wie z. B. bessere Schulbildung für die Kinder des Dorfes usw. aktiv zu werden. Zu seiner Verehrung wurde eine Briefmarke herausgegeben, ein Film über ihn gedreht, und er bekam in Bihar ein Staatsbegräbnis. Man findet seinen Namen auch auf Wikipedia.
Indien, dieses Land größter Extreme, das Land der zahllosen ebenso unglaublichen wie farbenfrohen Feste und Rituale, der wunderbaren Düfte und Gerüche, die du z. B. wahrnimmst, wenn du durch die Gewürzbasare streifst, das Land mit den oben schon erwähnten immensen Umweltproblemen, das Land, das intensiv alle Sinne berührt, ein Mikrokosmos, ein unglaublich widersprüchliches Land ist ein Land, das dich an deine Grenzen bringen kann und dich herausfordert, die Auseinandersetzung mit Bharat Mata, Mutter Indien einfordert. Alles was du über Indien sagst, stimmt und stimmt auch nicht, so sagte einmal eine indische Journalistin über ihr Land. Ein anderes Zitat, etwas abgewandelt: Auch das Gegenteil von allem, was du über Indien sagst, denkst, annimmst, behauptest und weisst ist richtig, trifft auch zu. Der indische Mikrokosmos ist schon fast mehr als alles, was man sich unter einem Land vorstellen kann und somit ist Indien in jeder Hinsicht ein unbeschreibliches, ein unfassbares Land.
Meine allererste Begegnung mit dem Land Indien hatte ich im Alter von ca. 10 oder 11 Jahren. Damals, ca. 1958, wurden in unserem Wohnort in einer Turnhalle monatlich Filme gezeigt, nachmittags für uns Kinder, abends für die Erwachsenen. Einer der Filme war, wie kann es anders sein, eine amerikanische Verfilmung des Dschungelbuches von Rudyard Kipling. Es war eine der ersten amerikanischen Versionen des Filmes aus dem Jahre 1942 mit deutscher Synchronisation. Kipling hat das Dschungelbuch 1894/95 geschrieben. Die Handlung des Filmes muss mich wohl so stark in ihren Bann gezogen haben, dass sich mir dieses Erlebnis tief eingeprägt hat. Ich habe heute noch die Bilder der Turnhalle in mir, in der der alte Filmprojektor mit seinen großen Spulen schnurrte und wir Kinder gebannt vor der kleinen Leinwand saßen. Als ich mir den Film vor einiger Zeit nochmals angesehen habe, kam mir tatsächlich alles wieder sehr bekannt vor. Die Filmnachmittage waren für uns Kinder ein Erlebnis, auf das wir uns schon wochenlang freuten. Das Dschungelbuch und natürlich das, was ich in der Schule über Indien lernte, hat meine ersten, frühen Indienbilder, sicherlich eher klischeehaft, wie die Erdkunde- und Geschichtsbücher damals eben so waren, oder noch sind, stark geprägt: Indien - das Land, das eine britische Kolonie war, das Land des Dschungels, der unglaublichen Schätze (erst 2011 wurde "Der Schatz von Thiruvananthapuram" unter einem Tempel gefunden: Gold und Edelsteine im Wert von ca. 22 Milliarden Dollar, zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft von einem Maharadscha versteckt), das Land der Maharajas mit ihren Palästen, das Land, in dem die Menschen Turbane tragen und wunderbare Gewänder trugen, eben ein märchenhaftes Land…..
Unser Denken ist ja häufig auch von Klischees geprägt, die unsere Erwartungen und Vorurteile bestimmen. Wir werden aber auch immer wieder feststellen, dass Klischees dem Vergleich mit der Realität (zum Glück) nicht standhalten. Zumindest ansatzweise zu versuchen, Indien ohne Vorurteile, nicht wertend zu sehen, ohne Erwartungen in das Land zu reisen (zugegeben eine der schwersten Übungen), mit offenen, staunenden Augen und weitem Herzen, macht uns offener für das, was uns erwartet. Was immer bleibt für mich, ist der große Reiz, die große Anziehungskraft des immer geheimnisvoll bleibenden Indien, das nie endgültig erforscht werden kann.
Meine zweite wichtige, eher indirekte Begegnung mit Bharat Mata – Mutter Indien, hatte ich im Oktober 1979. Ich befand mich auf einem Trip durch die USA und kam auch nach San Francisco, wo es den wunderschönen Japanese Garden gibt, in dem auch eine große Statue des Buddha steht. Seine rechte Hand hat er zur Geste der Ermutigung und Furchtlosigkeit erhoben. Ich hatte noch nie etwas über ihn gehört, geschweige denn eine Abbildung von ihm gesehen, und so hat mich die Statue von Buddha damals so beeindruckt, dass es mich drängte, mehr über ihn zu erfahren. Die Beschäftigung mit seiner und anderen asiatischen Philosophien wie dem Taoismus und dem Hinduismus mit seiner Yoga-Philosophie usw. wurden zu einer wichtigen Richtschnur meines Lebens.
Als ich also 1979 dann vom meinem USA-Trip zurück kam begann ich allmählich, mich mit buddhistischen Schriften zu befassen. Das erste Buch war eine Auswahl von Buddhas Lehrreden nach den Übertragungen von Karl Eugen Neumann (* 18.10.1865 in Wien, + 18.10.1915), der der erste maßgebliche Übersetzer von buddhistischen Schriften in die deutsche Sprache war. Insbesondere berührten mich die beiden ersten Kapitel " Der Pfeiler der Einsicht" und "Bedachtsame Ein- und Ausatmung". Es sind grundlegende Kapitel über die vier Pfeiler der Einsicht, also das Satipatthāna Sutta, die Grundlagen der Achtsamkeit. So kam ich sehr bald mit Begriffen wie Achtsamkeit, Meditation, Mitgefühl, und ebenso mit den Vier Edlen Wahrheiten in Berührung. Damals konnte ich natürlich noch nicht viel damit anfangen, aber mein Erfahrungsdrang war geweckt. Ich erfuhr natürlich auch, dass Buddha in Lumbini im indisch-nepalesischen Grenzgebiet geboren wurde, und so begann ich, mich mehr und mehr mit Indien zu befassen, kaufte mir meinen ersten „Lonely Planet“ und andere Reiseführer, las andere Reiselektüre, auch Reiseberichte aus vergangenen Jahrzehnten wie z. B. Paul Bruntons „Von Yogis, Magiern und Fakiren. Begegnungen in Indien“, dass er 1937 nach seinem Indienaufenthalt 1930/31 veröffentlichte. Der zunächst in englisch veröffentlichte Originaltitel lautet „A Search in Secret India“ (1934). Dieses Buch hat mich ganz besonders fasziniert. Mehr über Paul Brunton findet sich auf Wikipedia.
Damals kannte ich auch Bhagwan-Anhänger, die von ihren Aufenthalten im Ashram in Pune berichteten. Der Ashram interessierte mich persönlich zwar nicht, aber ihre Schilderungen über das indische Leben, und was ich darüber in meiner Reiseliteratur las, fand ich interessant. Und so wurde der Landesname „Indien“, das Geburtsland Buddhas, hinter dem sich für mich unglaubliche Geheimnisse und Mysterien verbargen, mehr und mehr zu einem Reizwort für mich und irgendwann war das Ziel Indien dann klar.
Ich bin zwar auch noch zweimal, 1981 und 1982, in den USA gewesen, hatte nach den Reisen aber das Gefühl, dass mich das Land nicht mehr interessiert. Das amerikanische Leben war mir zu steril und zu oberflächlich, und Indien, ja Indien musste irgendwie völlig anders sein, und im Gegensatz zu den USA in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Das, was für mich in den USA faszinierend war, waren die unendlich großen Wüstengebiete und Canyons, und dann gab es immer schon, verstreut über die ganzen USA die kleinen spirituellen oder auch New Age - "Oasen", Yoga-Ashrams usw., zu denen auch Big Sur, dieser kleine Ort an der kalifornischen Küste gehört(e). Big Sur an der kalifornischen Westküste war damals schon bekannt durch das "Esalen-Institute" und dadurch, dass Henry Miller hier lange gelebt hat. Ich war damals ein Anhänger seiner Literatur, und so war es interessant, ein wenig auf seinen Spuren wandeln zu können, insbesondere seine Bilder und andere Dinge in der Coast Gallery zu betrachten. In Paris, wo Miller auch lange Zeit gelebt hat, hatte ich das Vergnügen, im Spätsommer 1981 einmal auf Spurensuche gehen zu können.
Das Esalen-Institute wurde Anfang der 60er Jahre als ein alternatives, humanistisch ausgerichtetes Seminar- und Kongresszentrum gegründet. Zahlreiche bekannte Therapeuten wie z. B. Ronald D. Laing, Moshé Feldenkrais, Alexander Lowen, Fritz Perls, Carl Rogers, und "Gurus" der amerikanischen "Flower-Power" und "New-Age"-Bewegung wie z. B. Deepak Chopra, Fritjof Capra, Carlos Castaneda, Stanislav Grof, Aldous Huxley, Alan Watts lehrten auf Workshops und Kongressen, und noch heute finden jährlich zahlreiche Seminare zu, im weitesten Sinne, spirituellen und psychologischen Themen und andere Veranstaltungen statt. Häufig gingen von Esalen wichtige Impulse der "New Age"-Bewegung, auch in Richtung Europa aus.
Auch wenn mir Anfang der 80er Jahre klar wurde, dass ich nach Indien wollte, vergingen noch einige Jahre, aber im Dezember 1985, genauer gesagt am 28.12. startete ich dann zu meiner ersten Reise.
Ich möchte nun aber nicht, z. B. anhand von Tagebuchaufzeichnungen chronologisch berichten, sondern einfach in meiner "inneren Schatztruhe" mit neueren und älteren (wiedergefundenen) Erinnerungen, Erlebnissen, unvergänglich im Gehirn abgespeicherten, nicht mit der Camera aufgenommenen Fotos usw. kramen, über Ereignisse, Menschen und erlebte Situationen berichten, die mir besonders gut in Erinnerung sind. Natürlich aber erzählen mir auch Dinge wie Fotografien, Tickets, Eintrittskarten, Briefe, Geschenke usw. ihre Geschichten, lassen verschüttete Erinnerungen wieder wach werden......
Winter 1985/86
Bei Winterwetter war ich abgeflogen, und sogar die Tragflächen des Flugzeuges mussten vor dem Start noch enteist werden. Das Flugzeug landete in der Nacht vom 28.12. auf den 29.12.1985 irgendwann zwischen 1 und 2 Uhr morgens in Bombay. Der Airport war in den 80er Jahren noch sehr überschaubar und fast kleinstädtisch. Der typisch muffige Geruch ist teilweise bis heute geblieben. Nachdem ich die Einreisekontrollen hinter mich gebracht, Geld gewechselt hatte und aus dem Ausgang trat, fiel sofort das volle indische Leben über mich her, und ich stand einfach nur da in der Wärme der indischen Nacht, staunend, überfordert, hilflos, mich wie auf einem anderen Stern fühlend. Zwei oder drei Stunden mag ich wohl dagestanden haben, wie paralysiert, wie das Kaninchen auf die Schlange starrend. Moskitos schwirren heran und versuchten, zu dem Neuankömmling in Indien Kontakt aufzunehmen. Gepäckträger bestürmten mich, unendlich viele Menschen, Autos, Rikshaws usw. standen auf dem Vorplatz, Busse fuhren vorbei, neue Gerüche stürmten auf mich ein, es war warm, Menschen starrten mich an, und ich stand einfach nur da und staunte, staunte ungläubig... Irgendwann erwachte ich dann wieder, langsam ging die Sonne auf.
In meinem "Lonely Planet" hatte ich natürlich u. a. schon gelesen, dass man mit einem Bus in das Stadtcentrum Colaba im Süden von Mumbai fahren könne. Der Bus hielt in einer kleinen Nebenstraße hinter dem berühmten Taj Mahal Hotel. Ich stieg aus, und da stand er auch schon: Prakash, ein 20 bis 25jähriger junger Mann der sich sofort anbot, mir mein Reisegepäck zu der Unterkunft zu tragen, die er mir zuvor empfohlen hatte und die ca. 10 Minuten entfernt war. Ich war ganz froh. Irgendwie war er freundlich, unaufdringlich, erschrak mich aber im ersten Moment, da er ein wenig wie einer jener sog. "Wolfsmenschen", aussah, die eine sehr starke Gesichtsbehaarung haben. Er hatte für sein Alter überdimensionierte Augenbrauen, seine schwarzen Haare wuchsen ihm tief ins Gesicht hinein, und sein Schläfenansatz reichte bis an seine Augenbrauen heran. Mitten in der Nacht mit einem völlig fremden Menschen, das war mir dann doch nicht so ganz geheuer, zumal das Reisehandbuch ja auch Warnhinweise enthielt...
Aber, er brachte mich freundlich und aufmerksam zum Seashore Hotel, gelegen im 3. oder 4. Stock eines Hauses in einer Nebenstraße hinter dem Radio Club, kassierte seine Provision vom Hotelier, ein Trinkgeld von mir und verschwand wieder. In den nächsten Tagen sahen wir uns gelegentlich auf der Straße und grüßten uns freundlich.
Das Hotel war einfach und einigermaßen sauber, hatte ganz einfache Schlafkabinen, wie Schuhkartons, mit Trennwänden aus Holz, sodass ein direkter akustischer Kontakt zum Nebenzimmer immer gegeben war. An der Decke leierte ein Ventilator mit einem rhythmischen Quietschen vor sich hin, und wenn man aus dem Fenster schaute, konnte man ohne Probleme in das Zimmer nebenan schauen. Eines Abends bekam ich dann mit, wie sich zwei Junkies im Nebenzimmer ihre Spritze setzten, und überhaupt wohnte in der Absteige ein buntes, manchmal auch zwielichtiges Völkchen was mich dazu bewog, mein Quartier zu wechseln.... Das Viertel um das Hotel herum...(Fortsetzung folgt)
Die Tage in Bombay waren angefüllt mit einem staunenden "durch-die-Stadt-streifen", ich lief und fuhr mit Rikshaws etliche Kilometer durch die Stadt, in abgelegene Viertel, zu Sehenswürdigkeiten wie Crawford Market usw., traf freundliche, neugierige Menschen, geschäftstüchtige Händler, wurde zum Chai eingeladen.... Ich besuchte Museen, Kunstaustellungen, und immer, wenn ich nach Bombay/Mumbai kam oder komme, war, bzw. ist für mich ein Fixpunkt die Jehangir Art Gallery mit ihrem kleinen Cafe und das Museum of Modern Art, die zusammen mit dem historischen Museum nahe beieinander liegen. In der Jehangir Art Gallery gefiel und gefällt mir immer wieder besonders, dass die Künstler, die dort ausstellen, sehr häufig persönlich anwesend sind. Eine wunderbare Möglichkeit, mit ihnen über ihre Kunst in's Gespräch zu kommen. Die Jehangir Art Gallery und das Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (früher Prince of Wales Museum) liegen fast "inselartig" auf einer großen Grünfläche, umrundet von der MG Road, K Dubash Marg und Shahid Bhagat Singh Road. Quasi "um die Ecke" bei der Gallery befindet sich auch das Max Mueller Bhavan (Goethe- Institut). In der K Dubash Marg und den angrenzenden Straßen findet seit vielen Jahren jährlich im Februar das Kala Ghoda Arts Festival statt, ein Festival der einheimischen Künstler mit diversen Aktionen, Ausstellungen von Skulpturen usw. Auf den Gehsteigen vor der Gallery präsentieren ganzjährig Maler ihre Werke, ein wenig weiter findet man Imbissbuden, Friseure, Busstände, und auf meiner ersten Reise 1985, auch die Zeit, in der Computer mehr und mehr Einzug hielten, fanden sich noch einige "Schreibbüros", kleine überdachte Buden, in denen vorwiegend Männer an mehr oder weniger alten Schreibmaschinen saßen, und gegen eine Gebühr Schreibarbeiten für schreibunkundige Menschen erledigten. Heute gibt es solchen Dienstleistungen wohl überwiegend nur noch in vielen ländlichen Gegenden. Auf dem nahen Platz des Gateway of India findet sich eine Statue des Hindu-Gelehrten Swami Vivekananda, der 1893 als erster Hindu am ersten Parlament der Weltreligionen in Chicago teilgenommen hat.
Ebenfalls in der Nähe des Gateway of India gab es damals einen kleinen, aus weissen Kacheln gemauerten Tempel mit kleinen Statuen von Shirdi Sai Baba und anderen indischen Heiligen und Göttern. Irgendwann in den 90er Jahren musste er dann dem Bau eines anderen Gebäudes weichen. Es war ein richtiges Kleinod und ich freue mich, dass mir zumindestens noch meine Fotos geblieben sind. Ich kam also zu dem kleinen Tempel, und sah auf einer Stufe nebenan einen alten interessant aussehenden Mann sitzen. Er sah mit seinen langen, weissen, gewellten Haaren und dem ebenso weissen langen Bart ein wenig aus wie Tagore (indischer Dichter, Philosoph, Maler, Nobelpreis für Literatur 1913, *1861, +1941) in seinen späten Jahren. Wie sich später herausstellte, war sein Name Shankar Baba, und er musste damals mindestens schon 80 Jahre alt gewesen sein. Wir kamen in's Gespräch und er erzählte mir u.a., dass er vor zig Jahren noch für die Engländer gearbeitet habe, zu einer Zeit, als Indien noch unter britischer Knechtschaft stand. Jetzt schlage er sich so durch's Leben, sei im Winter mehr im Süden, also auch in Bombay, und im Sommer mehr im Norden von Indien anzutreffen und seine frei gewählte Aufgabe sei es nun, die kleine Tempelanlage zu pflegen. Irgendwann sagte er dann, jetzt müsse er sich verabschieden, um ein "Pfeifchen" zu rauchen, lud mich auch noch dazu ein, aber ich verabschiedete mich... Ein Jahr später, 1987, kam ich wieder zu der gleichen Stelle, und wen traf ich da? Shankar Baba natürlich. Ich fand es einfach nur schön als er aufstand, auf mich zukam und sagte: "Da bist du ja wieder...."
Sehr schön und spannend fand und finde ich auch immer wieder den Stadtteil Juhu mit seinem bekannten Beach im Norden von Mumbai/Bombay. Ein interessantes, fast kleinstädtisches Viertel mit einem prachtvollen Tempel der Hare Krishna - Bewegung und anderen kleinen Tempeln. Der Juhu Beach selbst lädt nicht sonderlich zu einem Badeaufenthalt ein und ist auch mehr ein Treffpunkt der Menschen aus dem Viertel und aus anderen Teilen der Stadt, insbesondere in den Abendstunden und an Wochenenden. Familien finden sich hier ein um zu picknicken, Verkaufsstände bieten verschiedene Dinge an, Imbissbuden ihre Speisen, kleine, von Menschen betriebene Karussels drehen ihre Runden, andere findige Menschen bieten Spiele wie Ringe werfen oder das berühmt-berüchtigte und nach wie vor verbotene Hütchenspiel an, Artisten führen ihre Kunststücke auf, und auch Drogendealer versuchen, ihren Stoff unter die Leute zu bringen. Tagsüber kommen aber auch dann und wann mal Schülergruppen um, häufig auch mit großen Schläuchen von LKW-Rädern, in's Wasser zu gehen. An Holi, dem sehr farbenfrohen indischen Frühlingsfest, welches meistens am Vollmondtag des Monats März stattfindet, wird immer ein großes Feuer veranstaltet, verbunden mit einer Puja (hinduistisches, religiöses Ritual zu Götterverehrung) und fast tranceartigen Tänzen zu wilden Trommelrythmen um das Feuer herum. 3 - 4 mtr. hohe Stämme werden für das Feuer aufgestellt. Wenn du tagsüber durch die Straßen gehst kann es dir passieren, dass dich hier und da plötzlich eine handvoll Farbpuder trifft. Auch das ist typisch für Holi, und entsprechend sah meine Kleidung abends dann auch aus. Am nächsten Morgen färbt sich dann das Wasser am Juhu Beach von den abgewaschenen Farben. Vielleicht tritt gerade auch einmal, wenn du nach Juhu Beach kommst, abends in einem nahen Park eine Schauspielertruppe auf, um über mehrere Stunden hin Szenen aus dem Mahabharata aufzuführen. Das Mahabharata ist, wie oben schon erwähnt, das größte Epos Indiens mit ca. 100000 Doppelversen ein Ausdruck für die wunderbare und unglaublich reiche Kultur des Landes, was wir uns immer mal wieder bewusst machen sollten. Sie enthält auch die größte heilige Schrift der Hindus, die Bhagavad Gita.
Ein anderes indisches Erlebnis: An einem Sonntag im Februar oder März veranstalten wohlhabende Inder aus Mumbai und anderen Städten eine Oldtimer Rallye durch die ganze Stadt, durch den häufig stehenden Verkehr, und einer der, oder sogar der nördlichste Haltepunkte ist dann Juhu Beach. Man bekommt dann dort die Autopracht, oder zumindest einen Teil davon, der Reichen, der Maharajas usw. zu sehen. Und an irgendeinem anderen Tag erlebst du dann vielleicht einen Hochzeitszug: Der Bräutigam aus der indischen Oberschicht, hoch zu Pferde, toll geschmückt, begleitet von einer "Truppe" von Musikern und Tänzern, bahnt sich seinen Weg durch das Verkehrschaos, um zu seiner Liebsten zu gelangen, die in einem der Luxushotels in direkter Meerlage auf ihn wartet, wo dann die Hochzeitszeremonie mit, in der Regel mehreren hundert Gästen gefeiert wird. Tags zuvor hat Sharukh Khan, einer der indischen Filmstars, in diesem Hotel eine Filmszene abgedreht, und seine Fans strömen zu der Mauer, die das Hotel vom Strand trennt, bringen sich Stühle und Leitern mit, nehmen sich gegenseitig auf die Schultern, um vielleicht einen Blick auf ihren Star zu erhaschen.
Eine sehr schöne Atmosphäre am Juhu Beach erlebe ich immer am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang: Die ersten Spaziergänger mit und ohne Hund sind ebenso unterwegs wie Jogger, Yogis und Yoginis, die ihre Asanas praktizieren usw.....
Wenn du vielleicht auf der Terrasse eines kleinen Restaurants am Strand sitzt, kommen manchmal Artisten vorbei, z. B. einer, der unglaublich akrobatische Yogastellungen vorführt, ein Vater, der mit seinem Sohn mithilfe einer drei bis vier Meter langen Stange Balance-Kunststücke vorführt, Drahtseilkünstler usw....
Zu dem Vater, der zusammen mit seinem Sohn Balance-Kunststücke vorführt, kommt mir eine buddhistische Geschichte aus der Achtsamkeitspraxis in Erinnerung, die ich einmal irgendwo gehört habe: Der Artist gibt seinem Sohn den Ratschlag, während der Vorführung gut auf ihn zu achten, während er selbst gut auf seinen Sohn achten wird. Das ist sicherlich sehr wichtig sagt sein Sohn, aber besser ist es, wenn ich auf mich achtgebe, denn dann achte ich auch auf dich, und wenn du auf dich achtgibst, achtest du auch auf mich.
Zuletzt war ich im Februar 2016 und im Dezember 2023 in Juhu Beach und musste leider feststellen, dass der Treffpunkt Juhu Beach sehr viel von seiner ursprünglichen, fast familiär-kirmesähnlichen Atmosphäre verloren hat. Ich war just zum Valentines Day dort, der in Indien für die Mittelschicht eine sehr große Bedeutung hat (warum, verstehe ich nicht), und es trafen sich abends tausende von Menschen am Strand, um dort eine schöne Zeit zu verbringen...
Doch zurück zum Januar 1986: Eigentlich hatte ich keinen Plan davon, welches Ziel mein nächstes nach Bombay sein sollte. Es gab auf meinen Reisen Momente, in denen ich völlig unfähig war, hinsichtlich meines nächsten Zieles Entscheidungen zu treffen. Und so saß ich dann hin und wieder 1 - 2 Stunden oder auch mal länger da, bis ich mich dann entschied, weiter zu reisen. So war es auch in Bombay. Von einem Mitarbeiter eines Reiseveranstalters, der bei einem Reisebüro in Bremen einen Diavortrag über Indien gehalten hatte, hatte ich die Adresse eines Reisebüros in Bombay bekommen, mit dem er kooperierte. Er meinte, ich könne es aufsuchen, wenn ich mal Hilfe und Informationen brauche. Nach den spannenden Tagen in Bombay hatte ich mich dann entschlossen, per Zug nach Kerala zu fahren. Subash, Mitarbeiter im Reisebüro, hatte von seiner Chefin den Auftrag bekommen, mich absoluten "Indienneuling" beim Kauf einer Fahrkarte von Bombay nach Trivandrum/Kerala, wie es damals noch hieß, zu unterstützen. Gesagt, getan. Wir standen also in einer Schlange von 20 - 30 Leuten am Schalter in der Victoria Station. Das Warten, z. B. am Fahrkartenschalter, Geduld zu haben, zu entwickeln, war wohl eine der ersten Übungen, die Indien mir mit auf den Weg gab.
Eine Reise mit der Bahn in Indien, insbesondere die erste, ist natürlich ein aufregendes Erlebnis, zumal meine Zugfahrt von Bombay/Mumbai nach Trivandrum 24 - 36 Stunden dauerte. Genau weiss ich das nicht mehr. Ich hatte einen Platz in einem der offenen Abteile, deren Sitzbänke nachts als Betten dienen, vier in jedem Abteil, und nochmals zwei gegenüber dem Abteil an der Fensterseite. Damals wie heute hat sich oft nicht viel verändert: Du triffst häufig freundliche, neugierige Menschen, die oft jede deiner Bewegungen genau verfolgen, dich einfach lange ansehen, nicht anstarren, sondern mit ganz entspanntem Gesicht einfach nur schauen, dich mustern, Fragen stellen, genau beobachten, was du dir zum essen aus deinem Gepäck holst.... An Bahnstationen stürmen kleine Händler die Zugabteile, ein junger Mann läuft durch den Gang und hält mit der rechten seine linke Hand hoch, die einer "Klumphand" gleicht, Bettler kommen an die Zugfenster, Teeverkäufer gehen mit ihren kleinen Wagen den Bahnsteig auf und ab und bieten dabei mit nicht zu überhörender, durchdringender, manchmal schnarrender Stimme ihren Chai an. Ein Händler hat auf einem kleinen Holzbrett die "klassische" Kampfszene zwischen Kobra und Mungo mit zwei ausgestopften Tieren nachgestellt, und natürlich kommen immer mal wieder die "Kellner" durch die Gänge, um ihre warmen Speisen anzubieten. Besonders sind mir dabei noch die veg. Samosas oder auch Pakoras, eingewickelt in Zeitungspapier in Erinnerung. Abends kommt dann noch meistens der Schaffner vorbei, um Handtücher und Wolldecken für die Nacht zu bringen. Und auch, wenn du dir als "Westler" abends deinen Schlafplatz bereitest, dir deine Tageskleidung ausziehst, für Inder eher ungewöhnlich, wird das genau beobachtet.
Die kleinen indischen Speisen wie z. B. veg. Samosas, veg. Pakoras, fried Idlis, Vada Sambhar, Dosas und, und ,und gehören in Indien immer zu meinen Lieblingsspeisen. Dazu kommen natürlich auch die süd- oder nordindischen Thalis..... Auch die indische Kochkunst ist ein Extrem, im positivsten Sinne...
In indischen Zügen ist es nicht wirklich ein Verstoß, wenn du während der Fahrt mal eine Zugtür öffnest, dich in die geöffnete Tür setzt, vom Wind berühren, und Dörfer und Landschaften sozusagen aus nächster Nähe an dir vorüberziehen lässt. Menschen, die auf nahen Wegen oder neben den Bahngleisen unterwegs sind, winken dir zu....
Kerala
Irgendwann am übernächsten Tag erreiche ich dann Trivandrum/Thiruvananthapuram in Kerala im Südwesten Indiens, und die Bekleidung der meisten Reisenden ist dann auch vom Ruß, den die alten Dampfloks ausstossen, und von dem immer auch ein wenig durch die geöffneten Fenster hereinkommt, leicht "eingefärbt", je nachdem, ob man in einem Waggon gleich hinter der Lok sitzt oder weiter hinten....
Mein Reisehandbuch, das damals noch ein gut tragbares Gewicht, allerdings auch schon 790 Seiten hatte, "empfahl" mir dann auch ein Guesthouse, das "International Touristhome" für 12 Rupien! Naja, das war 1986. Das Haus kam mir ein wenig wie eine Arrestanstalt vor: Von einem Gang aus waren die "Zimmer" zu erreichen, mit vergitterten Fenstern zum Flur und auch zur Fensterseite. Mir gefiel es gut, ich fühlte mich dort wohl.
Nachdem ich zwei, drei Tage lang Trivandrum durchstöbert hatte, zog es mich dann doch ans Meer, und per Rikshaw fuhr ich nach Kovalam, dem nächst gelegenen Ort an der arabischen See. Ich genoss den Strand, die kleinen Wanderungen, insbesondere eine in Richtung Süden zu der kleinen Bucht mit dem Fischerdorf, in dem Hindus, Christen und Moslems friedlich beieinander lebten. Die große Darga Sharif Vizhinjan - Moschee, die weithin zu sehen ist, wenn man vom Lighthouse Richtung Süden schaut, war damals noch im Bau. Der Strand der Bucht war voller Fischerboote, und ich kann mich noch gut an die Kirche und den Tempel in Strandnähe erinnern. Eine große Menschenmenge stand am Rand der Bucht und schaute auf das Meer hinaus, um die Ankunft der Fischerboote zu erwarten…. Heute ist der Ort ein ausgebautes (Fischerei)Hafengebiet.
Mein Quartier in Kovalam liegt etwas oberhalb der Hauptstraße, und unter meinem Moskitonetz fühle ich mich gut aufgehoben, da sich durch die zerbrochenen Fensterscheiben nachts auch die eine oder andere Ratte auf der Suche nach Fressbarem in meinen Raum verirrt. Kakerlaken gibt es sowieso, und für die Geckos bin ich sehr dankbar, da sie dafür bekannt sind, Insekten, also auch Moskitos zu fressen.
Ein großes Vergnügen und schönes Erlebnis ist auch immer eine Fahrt auf Keralas Backwaters. Ich genoss die Fahrt von Quilon nach Alleppey auf einem der Fährboote, die an jeder “Milchkanne” halten. Die Fahrt dauerte mindestens 8 - 10 Stunden, das Boot war natürlich völlig überladen, und etliche von uns Rucksacktouristen genossen es, auf dem Verdeck des Schiffes zu sitzen und die Beine herunter baumeln zu lassen. Die Touristenboote, mit denen man heute diese Strecke fährt, gab es damals, glaube ich, noch nicht. Mit einem dieser Boote haben wir die Tour im Winter 2017/2018 noch einmal gemacht. Für mich war es die zweite Bootstour auf dieser Strecke nach 31 Jahren, und auch der zweite Aufenthalt in Kochin/Cochi.
Weiter geht es am übernächsten Tag mit einem kleinen Fährboot nach Kottayam. Wieder habe ich eine wunderbare Fahrt von 2 – 3 Stunden durch die Backwaters, genieße auf dem Verdeck sitzend die gemächlich vorüberziehende Landschaft mit Reisfeldern, kleinen Siedlungen usw. und den Luxus, während der ganzen Fahrt der einzige Passagier an Bord zu sein. Von Kottayam fahre ich weiter mit der Bahn nach Ernakulam und Cochin (heute Kochi). Ich erinnere mich noch, dass der Stadtteil Fort Kochi um die „weltberühmten“ chinesischen Fischernetze herum sehr ruhig und beschaulich war und ich an einem wunderbaren Sonntagmorgen ausgedehnte Spaziergänge durch die fast leeren Gassen mache…..
Am Abend habe ich die große Freude, bei einem Tempelfest in einem recht kleinen der etlichen Tempel in Cochin dabei sein zu können. Nachmittags schon werden die Tempelelefanten geschrubbt, gewaschen und geschmückt. Auf dem Weg zum Tempel ist im Laufe des Nachmittags ein kleiner Jahrmarkt entstanden mit Imbissbuden, Spielzeugverkauf usw., einige Kartenleger/innen und Wahrsager/innen bieten ihre Dienste an, darunter auch ein Kartenleger, der aus einer Reihe von Karten zwei Karten von Papageien der Gattung der sog. „Unzertrennlichen“ herauspicken lässt, und damit dann seine Vorhersagen für das Leben macht. Diese Art der Wahrsagerei begegnet dir in vielen indischen Orten. Nach und nach füllt sich der Tempelinnenhof, und ich suche mir einen Platz auf der nicht allzu hohen Mauer, die den Innenhof umrundet. Der Haupttempel im Zentrum ist über und über mit kleinen Öllampen geschmückt. Drinnen halten Priester ihre Zeremonie/Puja ab, und irgendwann beginnt dann die Tempelprozession. Drei geschmückte Elefanten, gefolgt von einigen Priestern, umrunden mehrfach den Haupttempel und werden dann zu ihren Plätzen geführt, wo sie ihr Futter bekommen. Auf der mir gegenüberliegenden Seite ist im Innenhof eine Bühne errichtet worden, auf der Schauspieler einige Stunden lang im Stil eines Volkstheaters Szenen aus dem Mahabharata aufführen. Alle Zuschauer, einige sitzen auf der Mauer, bzw. stehen dicht gedrängt im Innenhof und verfolgen gebannt, bei einzelnen Szenen Beifall spendend und mit Zwischenrufen die Handlung auf der Bühne begleitend. Für mich ist es ein unvergessliches, fast märchenhaftes Ereignis, dem ich für Stunden fasziniert zuschaue…..
Mein Aufenthalt in Kerala geht seinem Ende entgegen, und ich überlege, wohin ich jetzt reisen möchte. Das Ziel meiner nächsten Bahnreise ist zunächst Mysore. Mein Reisehandbuch hatte mir natürlich auch für Mysore eine preiswerte Unterkunft empfohlen und ich genoss es, Tempel, Museen, und natürlich auch den bekannten Mysore Palace zu besichtigen, Ausflüge auf die Chamundi Hills, etwas östlich von Mysore, mit ihrem bekannten Sri Chamundeshwari Tempel und der überlebensgroßen Statue von Nandi, dem Reittier Shivas, und nach Somnathpura mit seiner alten Tempelanlage (ca. 13. Jahrhundert) zu machen, oder einfach durch die Stadt zu streifen. Im einfachen Restaurant meiner Unterkunft wurden Thalis serviert, eine weitere, der vielfältigen indischen Speisen. Ein Thali ist eine typische indische Speise mit verschiedenen Zutaten und Beilagen, vielfach um eine große Portion Reis herum garniert, die meistens auf einem Blechtablett, dem Thali, oder im Süden meistens auf einem Bananenblatt serviert, und bei denen die verschiedenen Zutaten vielfach nachgereicht werden. Je nach Region variieren die Zutaten und Beilagen, entweder vegetarisch oder nicht vegetarisch.
Einige Tage später ging es wieder per Bahn weiter nach Madras/Chennai. Mein Quartier lag in der Gegend der Egmore Railway Station, also sehr zentral. Ich ließ mich treiben, und streifte wie schon in Mumbai kreuz und quer durch die Stadt. In den 80er Jahren interessierte ich mich u. a. für Theosophie und hatte natürlich auch erfahren, dass der Hauptsitz der Theosophischen Gesellschaft Madras war/ist. Also stand vor allem ein ausführlicher Besuch dort, im Stadtteil Adyar auf meinem Plan. Neben meinem tagesfüllenden Besuch der Theosophical Society Adyar (www.ts-adyar.org/) wurde ich auch noch zufällig Zuschauer der Parade zum Replublic Day an der Strandpromenade, und an einem anderen Abend begegnete mir dann erstmals die Philosophie, das Gedankengut von Ramana Maharshi. Er war ein bedeutender indischer Weisheitslehrer, *30. 12.1879, +14. 04.1950. Ich hatte die Tageszeitungen nach Veranstaltungen mit klassischer, indischer Musik, Theater, Tanz usw. durchsucht und stieß auf eine Veranstaltung in der Music Academy Hall. Dort wurde ein Dance Ballet, das Ramana Vijayam, Leben und Lehren Sri Ramana Maharshis aufgeführt.
Es gab auch einen Büchertisch mit verschiedenen Informationsschriften, Büchern usw. Darunter fand ich auch
das Family Journal of Ramana Maharshi Centre for Learning, Bangalore, Vol. V, No. 11, December 1985, aus dem ich einen sehr schönen, poetischen Text zitieren möchte:
„Die herrliche Sonne, der zarte Mond. Die atemberaubende Schönheit des Sonnenlichts, das einen goldenen Umriss hinter den Berggipfeln entwirft, mit Staubpartikeln in Strahlen, in Spalten, Ritzen, Fenstern und Türen menschlicher Behausungen tanzt oder geheimnisvolle Schatten auf unentdeckte Waldböden wirft.
Goldgelb erhebt es sich am Morgen und bringt Leben in alle Dinge, die Wachsamkeit und Schönheit der Morgendämmerung, Vögel beginnen zu singen, Tautropfen glitzern auf Gras und Blumen, Pflanzen erwachen zum Leben und entfalten ihre Blätter, und der Geist erwacht.
Die Sonne, durch die das Leben auf der Erde entsteht, ist für das menschliche Auge zu hell, um sie in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Wir müssen sie sehen, wenn sie auf- oder untergeht, hinter einer Wolke, die sie in geschmolzenes Silber verwandelt, oder gebrochen in Regentropfen, die den siebenfarbigen Bogen über den Himmel bilden. Die herrliche Sonne.“ (Deepl-Übersetzung)
Nachdem ich wiederum per Bahn von Madras/Chennai nach Delhi gefahren war, verlebte ich dort die letzte Zeit meiner Reise. Ich hatte mich in dem Billig-Hotel „Yatri Niwas“, einem mindestens 15-stöckigen, unansehnlichen Hochhaus einquartiert, das wohl Jahre zuvor als Quartier für Teilnehmer der „Asienspiele“ gebaut worden war. Ich besuchte Museen, das „Rote Fort“ und etliche andere markante Orte der Stadt, die Lalit Kala Academy, die herausragende Ausstellungen indischer Künstler hat, und wo ich mich mit Reproduktionen und Drucken klassischer, indischer Malerei „eindeckte“, ich ließ mich durch die Basare der Altstadt von Delhi mit ihren unzähligen Shops, diversen Gerüchen, Düften und Farben treiben, bis ich mich verlaufen hatte und nicht mehr wusste, wo ich wirklich war. Ich schaute dort in kleine Werkstätten hinein, wo verschieden Dinge produziert wurden, Metallteile, Weihrauchkegel und Räucherstäbchen usw., probierte hier und dort etwas in einer der kleinen Imbissbuden, trank den frisch gepressten Zuckerrohrsaft….. Von Delhi aus machte ich dann noch einen Ausflug nach Agra, wo vor allem das Taj Mahal, das rote Fort, und natürlich Souvenirshops mit den für Agra typischen Marmor-Einlegearbeiten, wofür auch das Taj Mahal bekannt ist, auf dem Programm standen.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiede ich mich von Indien…..
Ich hatte Indien geradezu in mich aufgesogen, Augen, Ohren, alle Sinnesorgane liefen mir über....
1986 entdeckte ich in einer deutschen Zeitschrift einen Artikel von P. N. Oak (*März 1917 - +Dezember 2007) Journalist, Hobbyforscher und President Institute for Rewriting Indian History (Institut für die Neuschreibung der indischen Geschichte). Das Thema seines Artikels war der vedische Ursprung, die vedische Vergangenheit Europas. Ein spannendes Thema!!! Kurzerhand schrieb ich ihm einen Brief und fragte ihn, ob ich ihn einmal besuchen dürfte, weil ich sehr gerne mehr über seine Forschungen erfahren würde. Er hatte mir im Januar 1987 einen langen Brief geschrieben, in dem er seine Thesen darstellte und mir auch eine Kopie seiner Forschungsarbeit beigefügt, ein Vortrag, gehalten Anfang September 1986 auf einem archäologischen Weltkongress in Southhampton. Sein herausforderndes Thema: „Die Notwendigkeit, grundlegende archäologische und historische Konzepte zu überdenken.“ Im Jahr 1987, auf meiner nächsten Reise versuchte ich, Mr. Oak dann in Delhi zu erreichen. Wir hatten uns vor meiner Reise bereits verabredet, aber in Indien kann immer etwas dazwischen kommen…
Ich zitiere aus seiner Schrift:
„Aber Geschichte und Archäologie dürfen nicht länger die Tatsache ignorieren, dass das christliche Europa, das muslimische Westasien und alle anderen Regionen der Welt einst eine vollwertige vedische Zivilisation mit den Veden, den Upanishaden, den Puranas, dem Ramayan Mahabharata, der vedischen Musik, der vedischen Medizin, dem vierfachen Sozialsystem, dem Gurukul-Muster der Bildung und der Sanskrit-Sprache hatten.“
„Ebenso gehören alle alten Städte in muslimischen und europäischen Ländern wie Damaskus, Bagdad, Samarkand, Bokhara, Istanbul, Kairo, Alexandria, Mekka, London, Paris, Rom, Ravenna, Amsterdam und Wien zu einer vorchristlichen vedischen Kultur.“ (Deepl-Übersetzung)
In diesem Zusammenhang schrieb er mir in seinem Brief, die italienischen Städte Rom und Ravenna wären nach dem Gott Rama und dem mythischen Dämonenkönig aus dem Ramayana, Ravana benannt worden.
Streitigkeiten über einige seiner „verwegenen“ Thesen bzw. Behauptungen, das Taj Mahal wäre ebenso wie Westminster Abbey, Vatikanstadt usw. als hinduistische Tempel errichtet worden, und das Papsttum wäre eigentlich eine vedische Priesterschaft, liefen über lange Zeit. Gerichtliche Streitigkeiten über seine Behauptung, das Taj Mahal sei ein hinduistischer Tempel liefen bis lange nach seinem Tod. Er war in Indien mit seinen Hobbyforschungen nie als ernsthafter, seriöser Wissenschaftler anerkannt und galt eher als Revisionist (s. a. wikipedia).
Nachdem ich im Winter 1985/86 meine erste Reise nach Indien gemacht hatte, war mir ziemlich schnell klar, dass ich wieder hin wollte, Indien hatte mich in seinen Bann gezogen. Es gibt die "Fraktionen" der "Indien - Lover" und der "Indien - Hater", und bei mir war klar, dass ich sofort zu der ersten Gruppe gehörte. Ich habe Reisende getroffen, die umgehend wieder abreisten, weil sie Indien nicht aushielten: die Armut, der Schmutz, die vielen Menschen... Jemand erzählte mir einmal, er wäre mit der Erwartung nach Indien gereist, quasi "an jeder Ecke" einen heiligen Mann zu treffen, was natürlich nicht zutraf. Viele Reisende sind sehr enttäuscht und frustriert, weil sie mit bestimmten Vorstellungen dorthin fahren, bestimmte Konzepte im Kopf haben und ständig nur vergleichen. So ziemlich der erste Lernprozess, der für mich in Indien begann war der, immer wieder zu versuchen, achtsam im Moment zu bleiben, nicht mein Leben zuhause mit meinem Teilzeitleben in Indien zu vergleichen, meine Erwartungen und Konzepte loszulassen und einfach nur unvoreingenommen und staunend, staunend, staunend und nicht wertend durch das Land zu reisen oder mir zumindest bewusst zu werden, welche Denk- und Wertungsmuster gerade ablaufen oder was mein "Kulturgepäck", meine angeeignete kulturelle Identität beinhaltet. Der zweite ganz wichtige Lernprozess der begann war der, zu erkennen, dass die Zeit in Indien eine ganz andere Bedeutung hatte. Was gefragt war, war Geduld, Geduld, Geduld und die Ruhe bewahren, z.B. in der Warteschlange am Fahrkartenschalter der Bahn, beim Ausfüllen von Formularen, die unzählige Fragen enthielten, und es durchaus sein konnte, dass mehrfache Korrekturen notwendig waren, und wenn es dann fertig war, schloss gerade der Schalter für die Mittagspause und es hieß lapidar: "come back in two hours"..... Damit umzugehen ist mir, bilde ich mir ein, im Laufe der Jahre auch einigermaßen gelungen - ich lerne natürlich immer weiter dazu - und ich konnte so viel offener für das Leben und Geschehen in Indien sein. Die Geduld hat zugenommen ebenso wie die Gelassenheit, und letztendlich führte mich der Weg dann dahin, dass Indien meine "zweite Heimat" wurde, mehr noch innerlich, insbesondere durch die buddhistische und hinduistische Philosophie. Habe ich Indien auf den ersten "rastlosen" Reisen per Bus und Bahn usw. geradezu in mich aufgesogen ohne zur Ruhe zu kommen, hat sich diese Haltung im Laufe der Jahre doch sehr verändert, und es geht mir mehr darum, einfach nur da zu sein..., und die Lernprozesse gehen weiter - zum Glück...
Indien hält immer Herausforderungen für dich bereit. Ich finde, diese zu erkennen, anzunehmen und aus ihnen zu lernen, ist das ist das beste, was dir geschehen kann. Indien hält einem immer einen Spiegel vor mit der Frage, "wer bin ich ?". Das heißt für mich z. B. auf einer Indienreise, mein eigenes Wohlstandsleben in Deutschland und die "Luxusprobleme", die wir im Westen oft haben zu hinterfragen. Ich weiß dann wieder mit Dankbarkeit neu zu schätzen, dass es mir mehrfacher Hinsicht gutgeht und alles nicht selbstverständlich ist.
1987 stand also die nächste Reise an, und in diesem Jahr standen Delhi, Goa und Rajasthan (Jaipur, Jodhpur und Udaipur) auf meinem Plan. Goa, die ehemals portugiesische Kolonie ist katholisch, und eines Abends stand ich an einer kleinen Straße, an der sich schon mehrere Dutzend Menschen versammelt hatten. Ich stand neben einem älteren Herrn (Father Mario Pires) im Priestergewand und fragte ihn nach der Bedeutung der Versammlung. Er erklärte mir, dass gleich die Prozession von "Our Lady of Fatima/Rosary (eine der bekanntesten portugiesischen Heiligenfiguren)" stattfinden würde. So kamen wir in's Gespräch und ich war eingeladen, anschließend noch mit zu seiner Familie zu kommen, um etwas zu essen. Seine Familie waren seine Nichte Nalini und ihre Schwester, und sein Neffe Joseph, die kleine Guesthouses betreiben, in denen er sein eigenes kleines Domizil hat. Father Mario ist in der Zwischenzeit verstorben. Er erzählte mir u. a., dass er auch schon einmal in Deutschland gewesen sei, allerdings nur sehr kurz. Er hatte einen Flug nach Kanada gebucht, und in Frankfurt einen Zwischenstopp. Diesen nutzte er, um auch den Flughafen zu verlassen, und es gelang ihm wohl damals als Priester irgendwie, durch die Kontrollen zu kommen, schlitzohrig, wie er war. Eine andere Episode, die von ihm überliefert ist, ist die Geschichte, dass eines Tages auf dem Grundstück der Apartmenanlage ein Beamter der Steuerbehörde auftauchte, um Steuern einzutreiben. Steuerzahlungen sind ja in Indien ein "schwieriges Thema."
Sein Neffe berichtete mir, der Beamte sei vorne in's Haus gekommen, und Father Mario sei blitzschnell mit einer Geldkassette nach hinten aus dem Haus verschwunden und habe diese eilig im Sand vergraben. Ich habe auch einmal einen Ostergottesdienst von ihm besucht, der frühmorgens sehr stimmungsvoll war. Zum Abschied hat Father Mario mir einmal, es war gerade Mangosaison, eine kleine Kiste mit frisch gepflückten Früchten geschenkt, die ich auch ganz gut im Handgepäck unterbringen konnte. Später bekam ich allerdings Probleme damit, weil die Früchte bei der Durchleuchtung des Gepäcks für Handgranaten gehalten, und genauestens inspiziert wurden. Aber ich konnte sie dann sogar noch problemlos nach Deutschland einführen.
Nach Goa machte ich mich dann auf den Weg nach Jaipur. Diese Stadt, sowie Udaipur, Jodhpur, Jaisalmer, Pushkar und andere Orte sind einige der touristischen Hotspots in Indien, und Rajasthan ist ohnehin ein sehr beliebtes Reiseziel. Für Jaipur hatte mir mein Reisehandbuch ein kleines, einfaches und preiswertes Hotel empfohlen, was in der Nähe des Chandpole Gate lag. Es war ein historisches Gebäude, das in früheren Zeiten einem Geschäftsmann gehörte. Ein für mich faszinierendes Detail dieses Hotels war die Klimatisierung der Räume: In eines der Fenster fast eines jeden Raumes wurde ein Rahmen eingebaut, in den über die Breite des Fensters dünne Äste und Zweige eingeflochten wurden. Von oben lief ständig ein wenig Wasser durch das Geflecht herunter in eine Wanne, von wo es dann wieder nach oben befördert wurde. So war das Astgeflecht in einem dauernden feuchten Zustand. Von außen wurde dann mit einem Ventilator durch das Geflecht frische Luft geblasen, die den Raum mit einer angenehmen Kühle, Luftfeuchtigkeit, und einem angenehmen, würzigen Duft von feuchtem Holz erfüllte. Das Chandpol Gate (nach Westen ausgerichtet) ist eines der Tore, durch die man die Altstadt von Jaipur, die sog. Pink City, so benannt wegen der Farbe der Häuser, betritt. Die Tore sind durch die alte Stadtmauer verbunden. Hier finden sich die touristischen Highlights wie u. a. der Palast der Winde, eine der fünf Sternwarten, die der Maharaja Jai Singh II in fünf Städten ab 1724 erbauen ließ. Diese Sternwarte, auch Jantar Mantar genannt (aus dem Sanskrit übersetzt= „denkendes/kalkulierendes Instrument“) und ihre „Schwester“ in Delhi waren für mich einige der Bauwerke, die mich am meisten fasziniert haben, geben sie doch Auskunft darüber, wie alt das astronomische Wissen der Inder ist. Weiter oben schrieb ich schon, dass die Inder ungefähr 500 n. Chr. erkannten, dass die Welt eine Kugel ist. Natürlich waren auch immer wieder meine Streifzüge durch die wunderbaren und spannenden Basare, wie z. B. dem Chandpole Basar, durch die kleinen Malerwerkstätten, Ateliers usw. wie ein Eintauchen in eine andere Welt für mich.
Eines Tages stöberte ich in den Shops eines Basars in der Nähe des Chandpol Gate auf der Suche nach einem kleinen Stadtplan. Plötzlich wurde ich von einem ca. 10-jährigen Jungen angesprochen mit Frage, ob er mir helfen könne. Er könne mir alles besorgen, zeigen usw. Ich erklärte ihm, auf der Suche nach einem Stadtplan zu sein. Er meinte, das sei für ihn kein Problem, und ich solle ihm ein wenig Geld geben. Irgendwo hatte ich einmal von einem Reisenden gelesen, dass er meistens sehr gute Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit von indischen Menschen gemacht hatte. Also sah ich keinen Grund für Misstrauen, und gab dem Jungen 20 Rupien mit der Bitte, mir einen kleinen Stadtplan zu besorgen. Wir verabredeten uns für zwei Stunden später am gleichen Ort. Leider verspätete ich mich und war gespannt, ob ich ihn wiedersehen würde. Ich wartete nun ca. eine halbe Stunde, und? – er kam sah mich etwas vorwurfsvoll an mit dem Hinweis, dass er mindestens eine Stunde auf mich gewartet habe….
Es ist eigentlich müßig zu berichten, dass auch diese Stadt seit meinem Besuch 1987 durch die wirtschaftliche Entwicklung ab 1990 dramatische Veränderungen erfahren hat. Die außenwirtschaftliche Öffnung Indiens begann 1991, und hatte das Land 1987 noch ca. 700 Millionen Einwohner, sind es heute 1,2 Milliarden. War die Atmosphäre 1987 am Chandpole Gate (Mond-Tor) und in den Basaren noch fast kleinstädtisch, gemütlich, wurde der gleiche Platz bei unserem zweiten Besuch 2018 z. B. regelrecht von Autos überschwemmt…
Nach Jaipur standen 1987 auch noch die Städte Udaipur und Jodhpur auf meiner Liste, und 2018 besuchten wir dann nochmals wiederum Jaipur und auch Pushkar (Fortsetzung folgt)
1987: Varanasi/Benares/Kashi
Varanasi ist die jetzige, meist gebräuchliche Bezeichnung der Stadt, Benares wird sie ebenso noch genannt, vor allem auch von Indologen, und Kashi ist die älteste Bezeichnung der ältesten Stadt Indiens. Andere Quellen sagen, dass sie „nur“ eine der ältesten Städte Indiens sei. Die Beschreibung „älteste Stadt Indiens“ wird ihr m. E. gerechter, denn ich habe hier das Gefühl, in das alte, historische Indien einzutauchen, mich in die Zeit zurück versetzt zu sehen, die ich von historischen Fotos z. B. aus dem Jahr 1907 kenne. Ich denke dann, dass sich die dargestellten Szenen, insbesondere die Badeszenen an den Ghats kaum verändert haben außer, dass sie damals vorwiegend noch schwarz/weiss aufgenommen wurden. Das Alter Varanasis soll lt. einiger Quellen bis auf das 11. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen. Der Name Kashi hat seine Wurzeln im Sanskrit und bedeutet in etwa „Stadt des Lichts“, ein sakraler Ort, die Stadt Shivas. Der Kashi-Vishwanath-Tempel, Shiva gewidmet, ist einer der wichtigsten Orte im religiösen Leben.
Varanasi gilt als die heiligste Stadt Indiens. Jeder Hindu sollte einmal Varanasi besucht, und ein Bad im heiligen Wasser von „Mutter Ganga“ genommen haben. Viele Hindus im hohen Alter kommen hierher, um zu sterben. Für die Bäder, und ebenso für die Bestattungsrituale gibt es besondere Badestellen, die Ghats, von denen eine Wikipedia-Liste über 80 Badestellen, verteilt über mehrere Kilometer hin am Flußufer ausweist. Die ältesten wurden vor „erst“ 400 – 500 Jahren angelegt. Die Bestattungsrituale werden von Angehörigen einer bestimmten Kaste durchgeführt. An ihrem Sterbeplatz werden die Toten in Leinentücher gewickelt, und von einigen Männern auf einer mit Blumen geschmückten Bahre hinunter zum Fluss getragen. Hier wird die Leiche nochmals gewaschen, und anschließend zur Verbrennung auf einen Scheiterhaufen gelegt. Die Angehörigen des Verstorbenen haben hierfür Priester „engagiert“, Holz gekauft und stehen in einigem Abstand um das Feuer herum. Aber Leichen werden nicht nur verbrannt, sondern auch eingewickelt in ihre Leinentücher dem Fluss übergeben. Insbesondere arme Familien, die sich kein Holz leisten können, wählen diesen Weg. Das war zumindest noch zu der Zeit meines ersten Besuches 1987 erlaubt. Heute geschieht das allerdings auch noch, zumindest mit nicht verbrannten Leichenresten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde „Mutter Ganga“ zum am stärksten verschmutzten Fluss Indiens, für die Hindus jedoch ist der Ganges nach wie vor ein heiliger Fluss, der die Sünden fortwäscht, der die Asche der Toten aufnimmt. Auf ihrem Weg aus dem Himalaya heraus passiert „Mutter Ganga“ dann noch etliche Städte, die wesentlich durch „normale“ Abwassereinleitungen, Chemieabfälle, Abfälle der Leder- und Bekleidungsindustrie usw., usw. zur Verschmutzung beitragen, und auch die Zunahme des Plastikmülls ist dramatisch. Bei Allahabad kommt dann der Yamuna noch hinzu.
1987 gab es auch noch einen reichen Fischbestand, Flussdelphine, Schildkröten usw. Allein die Ganges-Schildkröten scheinen so robust zu sein, dass sie heute speziell gezüchtet, und dann ausgewildert werden um dabei zu helfen, den Fluss sauber zu halten. Die Schildkröten ernähren sich z. B. von toten Fischen usw., und eben auch von Leichenresten. Sie werden bis zu 1 mtr. groß, gelten als aggressiv und haben sehr kräftige Kiefern.
Heute kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass der Fluss biologisch tot ist. Hinzu kommt noch, dass die Leichenverbrennung Dioxine freisetzt, die zur Luftverschmutzung beitragen. In der Zwischenzeit sind einige Krematorien entstanden, aber ein Großteil der Leichenverbrennungen findet nach meinen Beobachtungen immer noch an dafür bestimmten Ghats statt.
Mein Aufenthalt in Varanasi verlängert sich unfreiwillig, da ich einige Zeit mit einer heftigen Bronchitis zu tun habe. Umso mehr genieße ich die anschließende Zeit, und verbringe als erstes einen ganzen Tag am Ganges. Die Rikshaw fährt mich zum Dashashwamedh Ghat, dem sog. Main Ghat und setzt mich etwas oberhalb in der Altstadt ab. Durch das Gedränge auf den Straßen arbeite ich mich voran zu den Stufen, die hinunter zum Ufer führen, vorbei an einer langen Schlange von bettelnden Menschen. Ich suche mir einen etwas erhöhten Platz am Flussufer und sitze lange Zeit einfach nur hier, schaue und staune…. Auf den untersten Stufen des Ghats und im Wasser stehen dutzende von Menschen, die sich hier waschen, ihre Zähne mit Zweigen des Neembaumes putzen, ihre rituellen Bäder vollführen, komplett mit zugehaltener Nase untertauchen, sich mithilfe kleiner Messinggefäße mit Gangeswasser übergießen, sich heiliges Wasser aus dem Ganges in Flaschen abfüllen, und auch Wäsche waschen. Auf dem Vorplatz oberhalb der Stufen suchen Kühe nach Fressbarem, kleine Gruppen von Menschen sitzen zusammen und bringen den Tieren Gemüseopfer, Friseure und Fremdenführer bieten ihre Dienste an, von einem der zahlreichen Priester kann man sich segnen lassen, ich fühle mich wie in einem Film, der im alten Indien spielt…. Auf einer kleinen Rasenfläche abseits der Ghats schaue ich gebannt einem Schlangenbeschwörer zu, der vor sich einen kleinen Korb mit mindestens einer großen und einer kleinen Kobra hat, die sich zwischendurch mal aus dem Staub macht, und wieder eingefangen werden muss. Der alte, weisshaarige und weissbärtige Schlangenbeschwörer spielt auf seiner Flöte, bewegt sie hin und her, und die Kobra folgt mit ihrem Kopf. Wer nun meint, eine Kobra sei musikalisch, der irrt, sie folgt nur den Bewegungen…(wird fortgesetzt)
Die 90er Jahre - Pune, Aurangabad - Shailaja und ihre Brüder Shridar und Shripad.
In einem Jahr in den 90ern besuchte ich zunächst von Bombay aus Pune, wo ich mich mit einem Bekannten aus Bremen, der Sannyasin war, am Baghwan-Ashram verabredet hatte. Manchmal funktionieren solche Verabredungen, manchmal nicht, und in diesem Fall klappte es nicht. Ich setzte mich auf einen Stein am Eingangstor und hatte mich auf eine längere Wartezeit eingestellt. Nach einiger Zeit kam jedoch die Security, der das wohl verdächtig vorkam, ich musste ich meinen Platz räumen und hinterließ noch eine Nachricht am „Schwarzen Brett“.
Nach einigen Tagen in Pune, setzte ich mich dann in einen Bus nach Aurangabad. Viele werden es kennen, wie anstrengend und abenteuerlich es manchmal ist, mit dem Bus durch Indien zu reisen, ganz besonders dann, wenn du mit einem sog. Video-Coach/Bus fährst, bei dem im vorderen Teil ein Video-Monitor installiert ist, auf dem während der ganzen Fahrt, meistens sehr laut und mit schlechtem Sound Videos abgespielt werden.
Und auch der indische Straßenverkehr ist bekanntermaßen sehr chaotisch, insbesondere auf den Highways, die die großen Städte verbinden. Die Unfallrate ist sehr hoch, man sieht absolut gewagte Überholmanöver, und entsprechend dann auch häufig an den Straßen oder in den Straßengräben Autowracks liegen.
Und dann passierte es auch unserem Busfahrer: Irgendwo auf dem Highway von Pune nach Aurangabad setzte er mit unserem vollbesetzten Bus zu einem Überholmanöver an, um einen kleinen Transporter zu überholen, auf dessen Ladefläche einige Landarbeiter saßen, ein LKW kam ihm entgegen, er musste schleunigst wieder vor dem Transporter auf die linke Straßenseite kommen, schaffte es nicht ganz, rammte mit dem Hinterteil des Busses den Transporter, der sich um die eigene Achse drehte und auf der anderen Straßenseite in den Straßengraben stürzte.
Dann wurde die Situation brenzlig. Wir saßen erst einmal alle wie geschockt im Bus. Es kamen binnen sehr kurzer Zeit nicht nur etliche Menschen aus der direkten Umgebung um zu helfen, die verwundeten Menschen zu versorgen, es kamen auch wütende Menschen mit Steinen und Knüppeln bewaffnet auf den Bus zugelaufen und fingen an, den Bus mit Steinen zu bewerfen. Wir alle bekamen Angst und verließen schnellstens den Bus. Ich hatte über ähnliche Vorfälle schon einmal etwas gelesen und auch darüber, dass Busfahrer in solchen Situationen verprügelt wurden, konnte mir das aber nicht wirklich vorstellen.
Einige Zeit stand ich noch wie benommen am Straßenrand, nahm dann meinen Rucksack, und ging ein Stückchen die Straße entlang. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis ein Bus hielt, der nach Aurangabad fuhr. Ich saß während der ganzen Zeit neben einem netten Studenten, dem ich die ganze Geschichte dann erst einmal erzählen konnte.
In Aurangabad folgte ich dann einer Unterkunftsempfehlung meines „Lonely Planet“. Ich war vor allem auch dorthin gefahren, um die Höhlen von Ajanta und Ellora zu besuchen, aber auch, um mir die Stadt anzusehen, unter anderem auch den kleinen Nachbau des Taj Mahal, das Bibi Ka Maqbara.
An einem meiner Tage in Aurangabad kam ich zu einem kleinen Tempel, den ich dann mehrmals besuchte, weil es ein schöner, ruhiger Ort war. Ich konnte bei einem Feuerritual der Priester zusehen, der Tempelwächter lud mich auf einen Tee in seine Unterkunft ein, und eines Tages sprach mich ein Junge an, der mit seinem Bruder den Tempel besuchte. Wo auch immer du in Indien unterwegs bist, begegnest du geschäftstüchtigen Händlern, Bettlern und freundlichen, neugierigen, Menschen, die dich nach dem „Woher“, „Wohin“, „Warum“ fragen, dich im Bus oder im Zug einfach nur interessiert anschauen, ein gemeinsames Foto haben möchten. Ja, und Shripad, der sich mit seinem Bruder Shridar im Tempel aufhielt fragte mich, ob ich ihm einmal Briefmarken aus Deutschland schicken könnte. Wir tauschten unsere Adressen aus, und weil ich mein Versprechen einhalten möchte, schicke ich Shripad, bald nachdem ich wieder zuhause bin, einen Umschlag mit Briefmarken zu. Wir tauschten gelegentlich Briefe aus und vereinbarten, dass ich nochmals nach Aurangabad komme. Bei meinem ersten Besuch in Aurangabad hatte ich mir den kleinen Nachbau des Taj Mahal, das Bibi Ka Maqbara, angeschaut, war auch hier wieder durch die Stadt gestreift, um sie einfach zu erleben und möglichst viele Eindrücke in mich aufzunehmen. Im Jahr darauf kam ich dann wieder nach Aurangabad. Ich hatte für diesen Besuch mehr Zeit eingeplant, um auch die Höhlen von Ajanta und Ellora zu besuchen. Kurz nach meiner Ankunft rief ich bei Familie Pande an und wurde eingeladen, sie zu besuchen. Gesagt, getan. Die Familie bewohnte in einem besseren Viertel der Stadt den unteren Teil eines kleinen Reihenhauses. Ich lernte Herrn Pande kennen und erfuhr erst später, dass seine Frau schon vor einigen Jahren verstorben war, und er mit seinen beiden Söhnen und der Tochter Shailaja diese kleine Wohnung mit zwei Zimmern und einer Küche bewohnte. Im hinteren Zimmer stand das eine von zwei Betten der Wohnung, was dem Familienoberhaupt vorbehalten war, und im gleichen Raum schliefen auch die beiden Brüder auf ausgerollten Matratzen. Im Raum davor befand sich eine kleine Küche, und sozusagen im Eingangsbereich stand noch ein Bett, in dem Shailaja schlief. Herr Pande sen. war Ingenieur in einer Fahrradfabrik, seine Söhne und seine Tochter besuchten gute Schulen am Orte. Nachmittags trafen wir uns bei Shridar und Shripad, Shailaja bereitete uns gefüllte Chapati zu, Freunde der drei kamen zu Besuch, wir spielten Spiele, planten gemeinsame Unternehmungen usw. In der oberen Hälfte des Hauses wohnte eine musikalische Familie. Dort saßen wir zusammen, um dem Sitar- und Tanpuraspiel der Frau des Hauses zu lauschen, die Musiklehrerin war. Bei ihr bekam ich auch ein wenig Unterricht im Tanpuraspiel.
Shripad, Shridar und ich machten gemeinsame Ausflüge zu den Höhlen von Ellora, sie machten mich mit mehreren Leuten bekannt, u. a. dem alten Professor Karkare, einem Freund ihres Vaters, ich wurde zu einem “Herrenabend” eingeladen, besuchte abendliche Schulklassen, die die beiden Brüder unterrichteten, hatte selbst die Gelegenheit, mit Schulklassen zu diskutieren, lernte Leute kennen, die in verschiedenen sozialen Bereichen arbeiteten, und lernte auch einen Maler kennen, der einen Bilderzyklus zu den 18 Kapiteln der Bhagavad Gita geschaffen hatte. Von ihm habe ich dann das Gemälde erworben, was zum 12. Kapitel der “BG” gehört.
Eines Tages war ich bei einem Staatsanwalt auf einen Tee eingeladen. Ich dachte natürlich, wir würden die Teestunde gemeinsam mit ihm und seiner Frau verbringen, aber ich lernte einen sehr befremdlichen Teil der indischen Kultur kennen: Er und ich saßen zusammen im Wohnzimmer zusammen, während seine Frau im Hintergrund in der Küche saß, und uns bediente.
Eines Morgens luden mich Shridar und Shripad ein, mit Ihnen zu einem kleinen Gelände zu gehen, dass als Exerzierplatz diente. Es waren noch zwei oder drei andere da, und ein Teilnehmer, den ich am Abend zuvor bei dem “Herrenabend” kennengelernt hatte, gab Befehle aus, zu denen die Anwesenden “strammstanden”, und auch die indische Nationalhymne sangen. Ich selbst durfte (zum Glück) nicht mitmachen, und sah mir alles aus einiger Entfernung an.
(wird fortgesetzt)
Mitte Januar 2015 – Orissa/Odisha – Bubaneshwar an der Nord-Ostküste Indiens
Ich habe die große Freude, in dieser Woche an 6 Abenden in Bubaneshwar am Rajarani Tempel-Music-and Mukteshwar Tempel-Dance Festival teilnehmen zu können und habe den Eindruck, dass diese beiden Festivals noch zu den kleinen, intimen Festivals in Indien gehören, obwohl sie schon vor mehreren Jahren eingerichtet wurden. Drei Abende Tanz, drei Abende Musik. Es sind diese stimmungsvollen indischen Abende, am indischen Himmel beginnt es langsam zu dämmern, und ich liebe diese Abende mit dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, unbeschreiblichen indischen Atmosphäre. Die Tempel mit ihren Parkanlagen sind wunderbar illuminiert, Mitte Januar ist es in Odisha noch etwas kühl. Einige hundert Zuschauer, wahrscheinlich eher weniger, finden sich im Laufe des Abends ein, kommen und gehen, flanieren, suchen sich ihre Plätze. Die ersten Reihen der Bank-, bzw. Stuhlreihen sind der örtlichen "Prominenz" vorbehalten. Man sieht das an weiss bezogenen bequemen Bänken. Für die „nächstwichtigeren Menschen“ sind dann einige Stuhlreihen ab Reihe 4 vorgesehen, diese Stühle sind noch gepolstert und weiss bezogen. Für das Volk sind dann etliche Reihen der bekannten einfachen indischen Plastikstühle aufgebaut. Das sind eigentlich die Reihen, in die ich eigentlich auch gehöre. Ich entscheide mich aber für eine Sitzgelegenheit in der Sektion „nächstwichtigere Menschen“, weil die Sicht hier einfach besser ist. Wahrscheinlich hätte es auch niemanden gestört, wenn ich mich in die erste Reihe gesetzt hätte. Ein Ordner kommt vorbei, schaut auf mein Ticket für die hinteren billigen Plätze und sagt nur „OK“. Ein anderer Ordner geht durch die Reihen und schwenkt einen Eimer mit Holzkohle, in dem Schalen von Kokosnüssen, gemischt mit anderen Zutaten „verkokelt“ werden, um die Moskitos zu vertreiben. Ein leichter Qualm mit einem wunderbaren Duft zieht durch die Luft. Im hinteren Teil des Geländes sind zwei Imbissbuden aufgebaut. Hier bekommt man natürlich Samosas und Pakoras mit Ketchup oder auch grüner Soße. Zwei Musikabende habe ich ganz besonders genossen, stand doch zumindest einer der Musiker schon lange auf meiner Wunschliste: Der Flötist Hariprasad Chaurasia mit seiner Bansuri (indische Bambus-Querflöte) gestaltete einen wunderbaren Abend mit seinem Emsemble. Der andere Musiker ist Ustad Amjad Ali Khan mit seiner Sarod. Jeder Abend dieses Festivals wird mit einer Puja eingeleitet. Und dann genieße ich wunderbaren indischen Tanz und indische klassische Musik an unvergesslichen indischen Abenden…..
Indien - Goa Spätherbst 2016
Wir sind wieder in Indien unterwegs, und das Land ist wieder einmal alles, was es so sein kann: Schön, anstrengend, schmutzig, sauber, laut, erholsam, bunt, überraschend, herausfordernd...
Oma Joaquina Fernández vermietet hier mit ihren vier Töchtern, die selbst schon Familien haben, ein kleines Apartmenthaus mit 8 Wohnungen. Zur Zeit sind wir die einzigen Bewohner des Hauses, da die Saison noch nicht angefangen hat. Goa war ja portugiesisch, und so sind auch typische Namen vorzufinden wie Fernández, de Souza, da Rosa, Pirez usw.. Wir haben vom Balkon einen Blick auf einen kleinen Garten mit Palmen. Gelegentlich, bisher zum Glück nur nachts, fällt eine Kokosnuss von einer Palme mit lautem Knall auf die Erde. Laut ist es ohnehin öfter, wenn kleine Gruppen von streunenden Hunden, vor allem nachts, manchmal ihre Kämpfe ausführend, kläffend, jaulend und bellend durch die Gegend ziehen. Wenn es nachts ruhig ist, hören wir das Meer rauschen. Die Flut steigt an, da es auf Vollmond zugeht, der in diesem November der größte seit 70 Jahren sein soll.
Morgens kräht dann irgendwo ein Hahn, und auch die Vogelwelt erwacht so langsam, allen voran die Krähen in Überzahl. Im Laufe des Tages kommen dann andere interessante Vogelstimmen dazu wie der Eisvogel und andere einheimische Vogelarten, die wir im Garten ebenfalls gut beobachten können. Ziemlich pünktlich um halb sieben ist dann eine Fahrradhupe zu hören: Der Bäcker radelt durch die Gegend, auf seinem Gepäckträger einen großen Plastiksack mit Brötchen, goanesischem Brot, Samosas usw. Abends kommt er noch mal, und zwischendurch kommen dann evtl. noch der Haushaltswarenhändler mit einem völlig überladenen Fahrrad mit Besen, Schüsseln, der Deckenhändler usw. Gelegentlich sind während des Tages und auch nachts Feuerwerke zu hören. Es ist die Zeit um Diwali, und an kleinen Tempeln werden zur Puja auch Knallfrösche gezündet.
Letzten Sonntag war wieder einer vielen indischen Feiertage. Eine große Gruppe von Frauen von außerhalb war nach Goa gekommen, um hier am Strand ihre Andacht/Puja zu halten und ein vom Priester geweihtes Abendessen (Früchte) einzunehmen.
Direkt nebenan zogen Fischer ihre Netze mit einem leider sehr spärlichen Fang ein, darunter auch einige kleine Seeschlangen, die verzweifelt versuchten, wieder ins Wasser zu gelangen. Auch das ist Indien: Zuschauende indische Männer schnappten sich ein, zwei Seeschlangen mit Daumen und Zeigefinger und liefen mit ihnen wie Trophäen durch die Gegend und erschreckten auch noch kleine Kinder damit. Eine sehr bizarre und befremdliche Szenerie.
Winter 2016
Nach unserem Aufenthalt in Goa sind wir zunächst wieder einmal, zum 3. mal, in Auroville (auroville.org/) und verbringen hier die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel 2016/17, bevor wir weiterreisen nach Puttaparthi, im Staat Andra Pradesh, zentral in der südlichen Hälfte von Indien. Puttaparthi, ursprünglich Gollapalli, hat ca. 15000 Einwohner und ist vor allem dadurch bekannt, dass hier ein bekannter indischer Guru, Sai Baba, geboren wurde und bis zu seinem Tod vor einigen Jahren gelebt und gewirkt hat. Viele werden ihn besser kennen wie ich, weswegen ich mein oberflächliches Hören-Sagen-Wissen hier nicht vertiefen kann und will. Er hat hier u.a. ein College, ein gutes Hospital (soviel ich weiss, mit kostenloser Behandlung), ein Ausbildungsinstitut für indische Musik gegründet, eine große Sportanlage, eine Musikhalle usw. gebaut, und natürlich gibt es einen großen Ashram, wenn man so will, eine Art klosterähnliches Meditationszentrum (der Begriff Ashram stammt aus dem Sanskrit = Ort der Anstrengung). Nachmittags werden u. a. in der großen Meditationshalle Sanskrit - Mantren und Bhajans (religiöse Gesänge) rezitiert und gesungen, und gelegentlich gibt es Konzerte mit indischer Musik, vielfach dargeboten von Studenten der hiesigen Musikakademie.
Menschen (Pilger) aus aller Welt (Europa, Südamerika, Nordamerika, Russland, aus etlichen asiatische Staaten und natürlich viele Inder usw.) kommen nach Puttaparthi, um sich in dem Zentrum/Ort für kürzere oder längere Zeit aufzuhalten. Ich habe mich für diese kurze Zeit unseres Aufenthaltes dem internationalen Chor angeschlossen, der sich jetzt, in der Vorweihnachtszeit fast jeden Tag trifft, um internationale Weihnachtslieder einzuüben.
Der Ort strahlt eine angehme Ruhe aus, die Straßen sind längst nicht so vom Motorverkehr überfordert wie in den meisten anderen Orten, es ist sauber, insgesamt also eine angenehme Atmosphäre. Und auch hier gibt es eine sog. "German Bakery". Wie der Name entstanden ist? Anfang der 70 er Jahre hat ein deutscher "Hippie" in Goa die erste "Filiale" gegründet, hat Kuchen, Gebäck, gutes Schwarzbrot usw. angeboten. Später hat er sein Versäumnis eingestanden, sich den Namen patentieren zu lassen, und so sind an vielen Orten des Landes z. B. Cafés mit dem Namen ( geklaut) eröffnet worden. Zumindest haben sie dann aber meistens ein Brot im Angebot, was einem ordentlichen Schwarzbrot nahekommt, und so auch hier. Es soll aber mindestens noch einen originalen Gründer der " German Bakery" geben. Wie auch immer...
Wir wohnen in einem schönen Apartment in einer ruhigen Straße, hinter der Klinik von Dr. Rao, einem Ayurveda-Hospital (Ayurveda: Das Wissen vom Leben, die traditionelle indische Heilkunst). Es kommen Menschen aus aller Welt, um hier zu kuren oder sich wegen ihrer Beschwerden behandeln zu lassen. Dr. Rao, inzwischen mindestens 95 Jahre alt, hat sich schon vor längerer Zeit zur Ruhe gesetzt, und andere Familienmiglieder, ebenfalls Ayurveda-Ärzte führen die Praxis weiter.
Unser Apartment hat zwei Balkone. Auf beiden haben sich Tauben niedergelassen. Auf einem Balkon hat eine "Täubin" sogar zwei Eier gelegt, wobei allerdings vermutlich einiges "schief gelaufen" ist. Sie hat erst die Eier gelegt, und hinterher fiel beiden wohl noch ein, dass ja eigentlich erst ein Nest gebaut werden muss. Jetzt sitzt "sie", allerdings nur teilzeitig auf den Eiern, die ansonsten auf dem Balkon durch die Gegend rollen, und "er", aber auch eher halbherzig, kommt dann und wann mit einem Zweiglein angeflogen, um am Nest zu bauen. Also - die ganze Aktion läuft eher wenig strukturiert als gut geplant und wird wohl nicht wirklich zum Erfolg führen.....
Abends erwachen dann diverse Insekten, und in der Dunkelheit werden momentan etliche Dutzend "Mitglieder" einer speziellen Wespen/Bienenart vom Licht angezogen und tummeln sich auf den Fliegengittern der Türen und Fenster. Plötzlich verschwinden sie dann wieder. Um unser Haus herum liegen einige andere kleine Gehöfte, mit jeweils zwei bis vier Kühen. Sie sind an Bäumen auf den Grundstücken angebunden, der ganze Wohlstand der kleinen Farmer. Es ist berührend zu sehen, wie jeden Morgen die Tiere gepflegt werden. Sie werden ausführlich gebürstet, gestriegelt, mit Wasser abgesprüht oder mit einem Schlauch abgespült. Die Kühe stehen dabei ganz still und scheinen es zu genießen...
Ein deutscher Mitbewohner des kleinen Apartmenthauses, in dem wir wohnten fragte mich einmal, ob ich denn, wie er, auch einen Guru hätte, was ich spontan verneinte. Ich reise seit mehr als 30 Jahren in Indien, bin aber nie gezielt in einen Ashram gefahren, habe nie nach einem Guru gesucht, was für viele andere ein wichtiger Grund einer Reise nach Indien ist. Mir war immer Buddha mit seiner Lehre, und die Beschäftigung mit anderen asiatischen Philosophien wie dem Tao und dem Hinduismus mit seiner Yoga-Philosophie und das Studium der Schriften verschiedener Weisheitslehrer eine wichtige Richtschnur meines Lebens. Die Dinge, Erlebnisse, Menschen in Indien haben mich gefunden, ich habe nicht mit irgendwelchen Erwartungen nach ihnen gesucht...
Ein paar Gedanken über indische Gurus:
Es gibt Gurus (spiritueller Lehrer, Weisheitslehrer, der Guru ist derjenige, der die Dunkelheit vertreibt), die seriös oder unseriöse Scharlatane sind, Gurus, die einfach, bescheiden und schlicht leben, andere, die pompös leben, sich feiern lassen, die einen Personenkult betreiben, alles ist in Indien möglich. Wie auch immer - die Guru - Tradition ist in Indien uralt, viele Menschen in Indien haben einen Guru, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, bis hin zu Managern und Politikern verbringen regelmäßig jährlich einige Zeit im Ashram ihres Gurus, um dort zu meditieren, Yoga zu praktizieren usw. Und - die Guru - Tradition ist ein ganz normaler, alltäglicher Bestandteil des indischen Lebens. Traditionell war es so, dass z. B. derjenige, der in die Yogapraxis eingeweiht werden wollte, sich einen Guru suchte, bei dem er für meistens mehrere Jahre "in die Lehre" ging, oder wer ein Musikinstrument lernen wollte, suchte sich auch einen Guru dafür, der ihn mehrer Jahre unterrichtete.
Dass Indien wichtige spirituelle Weisheitslehrer hervorgebracht hat und hervorbringt habe ich bewusst erstmals Anfang der 70 er Jahre wahrgenommen. Ich denke, dass es grundsätzlich die damalige Zeit des Umbruches Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war, in der indische Gurus in der westlichen Welt bekannter und mehr und mehr wahrgenommen wurden. Damals war es der Maharesh Mahesh Yogi (ein nach meiner Auffassung wenig seriöser Lehrer), der durch die Beatles populär wurde. Es war ja eine Zeit eines beginnenden Umbruchs im Denken vieler Menschen, fast ein Paradigmenwechsel. Allgemein formuliert, stimmten viele alte Werte (der kapitalistischen Welt) nicht mehr, und die Sehnsucht nach anderen, sinnvolleren, geistigen Lebensinhalten, weg von der Äußerlichkeiten zur Innerlichkeit, der Begegnung mit sich selbst, wurde immer wichtiger. Immer mehr Menschen reisten nach Indien, angefangen bei den Hippies, meditierten, machten Yoga und lauschten Vorträgen von weisen Männern. In den USA entstanden erste Encounter Groups und neue Therapieformen wie z. B. Gestalt- und Körpertherapien...
Man darf aber nicht übersehen, dass Indien bereits viel früher eine große Anziehungskraft auf bekannte Menschen hatte und dass auch bekannte Inder, wie z. B.
Tagore oder Swami Vivekananda, Sri Aurobindo nach Europa oder in die USA reisten oder dort Lebenszeit verbrachten, von Gandhi ganz zu schweigen.
Berühmte frühe Indologen, die schon ab dem 17ten Jahrhundert Indien erforschten, waren von Humboldt, Rückert, die Gebrüder Schlegel, Max Müller u.a.. Bei Gelegenheit, auch an anderer Stelle, noch mehr darüber.
Winter 2017 - Kerala, Südindien
Wir sind wieder für drei bis vier Monate in Indien. Für mich ist es jetzt der zwanzigste Aufenthalt in meiner zweiten Heimat. Die Lust am “Herumreisen” ist im Laufe der Jahre und nach mehreren Aufenthalten zurückgegangen, das Interesse nach dem Verweilen an einem Ort hat zugenommen, und mit der Länge der Aufenthaltsdauer an nur einem Ort kommt fast ein wenig das Gefühl auf, in zwei Ländern zu leben, speziell dann, wenn sich am Aufenthaltsort dann auch ein neues Netz sozialer Kontakte entwickelt. Es ist auch ein Experiment, für längere Zeit an nur einem Ort zu leben, sich einzurichten, natürlich unterbrochen durch den einen oder anderen Abstecher in einen anderen Ort. Wir haben viele Orte und Plätze in Indien gesehen, erfahren, aber Indien ist unergründlich...…
Seit Anfang November sind wir hier und konnten uns bei einem lieben, älteren Ehepaar, Hindus, 70 und 80 Jahre alt, in ihrer Wohnung in der oberen Etage und mit eigenem Eingang einmieten.
Nach mehr als einem Monat Aufenthalt sind wir fast Freunde geworden, gehören fast zur Familie, und kennen bereits mindestens die Hälfte des Familienclans von insgesamt 15 Menschen. Immer mal wieder kommt der/die eine oder andere Tochter, Schwiegersohn oder Enkel zu Besuch und wird dann sofort mit uns bekannt gemacht.
Häufig kommen die beiden morgens zu uns hoch und bringen uns ein südindisches Frühstück. Rezepte werden ausgetauscht….
In diesem Jahr war, auch für die hiesigen Menschen, die Monsunzeit ungewöhnlich lang, erst in der ersten Dezemberhälfte klang sie aus. Gelegentlich kamen, meistens abends, beeindruckende Regenschauer herunter, verbunden mit Donnergrollen und Blitzen, die den gesamten Himmel hell erleuchteten. Die kleine Straße vor dem Haus war dann in ihrer ganzen Breite unter Wasser gesetzt und ähnelte fast einem Bach.
Ende November, zum Beginn der “Endphase” der Regenzeit regnete es dann nochmals zwei bis drei Tage fast ununterbrochen, und auf dem Meer in ca. 150 km Entfernung gab es zur gleichen Zeit einen schweren Cyclon, der große Verwüstungen anrichtete und etliche Menschen, insbesondere Fischer auf dem Meer, das Leben kostete.
Am 2. und 3. Dezember feierten die Menschen in Südindien in diesem Jahr ihr Karthikai Deepam www.wikipedia.org/wiki/Karthikai_Deepam, ihr Lichterfest. Es ist ein Brauch, der in Tamil Nadu, Sri Lanka und Kerala celebriert wird. Das Fest hängt immer mit einem Vollmondtag und einer bestimmten Sternenkonstellation zusammen. Zum Abschluß des Festes, in diesem Jahr der Abend des 1. Advent, stellten viele Menschen wieder hunderte von kleinen Öllämpchen auf Grundstücksmauern, Fenster- und Balkonsimse. Es war ein wunderschöner Anblick, als unsere Straße leuchtete. (Fortsetzung folgt)
Indien ist aber auch ein Land mit einer unglaublich reichen Geschichte, ein Land der bedeutenden Entdecker und Wissenschaftler. Z. B. erfanden ca. 400 n. Chr. indische Mathematiker das Dezimalsystem, und ca. 500 n. Chr. erkannten indische Astronomen, dass die Welt Kugelgestalt hat und sich um ihre Achse dreht, und das Schachspiel wurde während der Gupta-Periode ( 4.- 7. Jahrhundert) erfunden. Auf keinen Fall dürfen auch die beiden großen indischen Nationalepen, das Ramayana und das Mahabharata in der Aufzählung fehlen. Das Mahabharata umfasst ca. 100000 Doppelverse und soll ca. 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. entstanden sein. Übersetzte Textfassungen umfassen 18 Bände. Es enthält auch die wichtigste "Heilige Schrift" der Hindus, die Bhagavad Gita (Der Gesang des Erhabenen). Das Ramayana umfasst 7 Bände mit ca. 24000 Doppelversen und ist in etwa zur gleichen Zeit entstanden wie das Mahabharata( s. z.B. www.pushpak.de). Hinzu kommen noch die ganz frühen heiligen, philosophischen Schriften, die Veden, und darin enthalten, die Upanishaden, entstanden lange Zeit vor den vorgenannten Epen. Als vedisches Zeitalter, vedische Periode wird nach Helmut v. Glasenapp "Die Philosophie der Inder" die Zeit von ca. 2000 v. Chr. - 550 v.Chr. angegeben, die vedischen Hymnen werden der Zeit von 2000 v. Chr. - 1000 v. Chr., und die Upanishaden, sozusagen die Interpretation, der Kommentar zu den Veden der Zeit von 750 v. Chr. 550 v. Chr. zugerechnet. In einigen Quellen ist zu finden, dass die Veden den ungefähr 7-fachen Umfang der Bibel haben sollen. Das sind nur einige Beispiele der wunderbaren, unglaublich reichen Kultur Indiens, diesem Land mit wunderbaren Menschen, großen Musikern, Dichtern und Malern, mit Menschen, die ganz erstaunliche, fast unglaubliche Dinge tun und in Bewegung bringen.
Ein Beispiel dafür: Ein Nachrichtenmagazin berichtete einmal über einen Mann namens Dashrath Manjhi, der sog. Mountain Man, dessen Dorf durch einen hohen Felsen von der nächsten Stadt abgeschnitten war. Eines Tages verletzte sich seine Frau schwer, und ihr Mann trug sie die ca. 70 km um den Felsen herum zum nächsten Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin verstarb sie. Danach beschloss Dashrath, einen Weg durch den Felsen zu schlagen. Er hat mit einem Vorschlaghammer, Brecheisen und Meißel 22 Jahre dafür gebraucht, und es geschafft. Jetzt müssen die Dorfbewohner nur noch ca. 15 km zur Stadt laufen. 2007 verstarb Dashrath an Krebs, und in seinem Dorf wird er wie ein Held verehrt und ist ein Vorbild dafür geworden, in anderen Bereichen wie z. B. bessere Schulbildung für die Kinder des Dorfes usw. aktiv zu werden. Zu seiner Verehrung wurde eine Briefmarke herausgegeben, ein Film über ihn gedreht, und er bekam in Bihar ein Staatsbegräbnis. Man findet seinen Namen auch auf Wikipedia.
Indien, dieses Land größter Extreme, das Land der zahllosen ebenso unglaublichen wie farbenfrohen Feste und Rituale, der wunderbaren Düfte und Gerüche, die du z. B. wahrnimmst, wenn du durch die Gewürzbasare streifst, das Land mit den oben schon erwähnten immensen Umweltproblemen, das Land, das intensiv alle Sinne berührt, ein Mikrokosmos, ein unglaublich widersprüchliches Land ist ein Land, das dich an deine Grenzen bringen kann und dich herausfordert, die Auseinandersetzung mit Bharat Mata, Mutter Indien einfordert. Alles was du über Indien sagst, stimmt und stimmt auch nicht, so sagte einmal eine indische Journalistin über ihr Land. Ein anderes Zitat, etwas abgewandelt: Auch das Gegenteil von allem, was du über Indien sagst, denkst, annimmst, behauptest und weisst ist richtig, trifft auch zu. Der indische Mikrokosmos ist schon fast mehr als alles, was man sich unter einem Land vorstellen kann und somit ist Indien in jeder Hinsicht ein unbeschreibliches, ein unfassbares Land.
Meine allererste Begegnung mit dem Land Indien hatte ich im Alter von ca. 10 oder 11 Jahren. Damals, ca. 1958, wurden in unserem Wohnort in einer Turnhalle monatlich Filme gezeigt, nachmittags für uns Kinder, abends für die Erwachsenen. Einer der Filme war, wie kann es anders sein, eine amerikanische Verfilmung des Dschungelbuches von Rudyard Kipling. Es war eine der ersten amerikanischen Versionen des Filmes aus dem Jahre 1942 mit deutscher Synchronisation. Kipling hat das Dschungelbuch 1894/95 geschrieben. Die Handlung des Filmes muss mich wohl so stark in ihren Bann gezogen haben, dass sich mir dieses Erlebnis tief eingeprägt hat. Ich habe heute noch die Bilder der Turnhalle in mir, in der der alte Filmprojektor mit seinen großen Spulen schnurrte und wir Kinder gebannt vor der kleinen Leinwand saßen. Als ich mir den Film vor einiger Zeit nochmals angesehen habe, kam mir tatsächlich alles wieder sehr bekannt vor. Die Filmnachmittage waren für uns Kinder ein Erlebnis, auf das wir uns schon wochenlang freuten. Das Dschungelbuch und natürlich das, was ich in der Schule über Indien lernte, hat meine ersten, frühen Indienbilder, sicherlich eher klischeehaft, wie die Erdkunde- und Geschichtsbücher damals eben so waren, oder noch sind, stark geprägt: Indien - das Land, das eine britische Kolonie war, das Land des Dschungels, der unglaublichen Schätze (erst 2011 wurde "Der Schatz von Thiruvananthapuram" unter einem Tempel gefunden: Gold und Edelsteine im Wert von ca. 22 Milliarden Dollar, zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft von einem Maharadscha versteckt), das Land der Maharajas mit ihren Palästen, das Land, in dem die Menschen Turbane tragen und wunderbare Gewänder trugen, eben ein märchenhaftes Land…..
Unser Denken ist ja häufig auch von Klischees geprägt, die unsere Erwartungen und Vorurteile bestimmen. Wir werden aber auch immer wieder feststellen, dass Klischees dem Vergleich mit der Realität (zum Glück) nicht standhalten. Zumindest ansatzweise zu versuchen, Indien ohne Vorurteile, nicht wertend zu sehen, ohne Erwartungen in das Land zu reisen (zugegeben eine der schwersten Übungen), mit offenen, staunenden Augen und weitem Herzen, macht uns offener für das, was uns erwartet. Was immer bleibt für mich, ist der große Reiz, die große Anziehungskraft des immer geheimnisvoll bleibenden Indien, das nie endgültig erforscht werden kann.
Meine zweite wichtige, eher indirekte Begegnung mit Bharat Mata – Mutter Indien, hatte ich im Oktober 1979. Ich befand mich auf einem Trip durch die USA und kam auch nach San Francisco, wo es den wunderschönen Japanese Garden gibt, in dem auch eine große Statue des Buddha steht. Seine rechte Hand hat er zur Geste der Ermutigung und Furchtlosigkeit erhoben. Ich hatte noch nie etwas über ihn gehört, geschweige denn eine Abbildung von ihm gesehen, und so hat mich die Statue von Buddha damals so beeindruckt, dass es mich drängte, mehr über ihn zu erfahren. Die Beschäftigung mit seiner und anderen asiatischen Philosophien wie dem Taoismus und dem Hinduismus mit seiner Yoga-Philosophie usw. wurden zu einer wichtigen Richtschnur meines Lebens.
Als ich also 1979 dann vom meinem USA-Trip zurück kam begann ich allmählich, mich mit buddhistischen Schriften zu befassen. Das erste Buch war eine Auswahl von Buddhas Lehrreden nach den Übertragungen von Karl Eugen Neumann (* 18.10.1865 in Wien, + 18.10.1915), der der erste maßgebliche Übersetzer von buddhistischen Schriften in die deutsche Sprache war. Insbesondere berührten mich die beiden ersten Kapitel " Der Pfeiler der Einsicht" und "Bedachtsame Ein- und Ausatmung". Es sind grundlegende Kapitel über die vier Pfeiler der Einsicht, also das Satipatthāna Sutta, die Grundlagen der Achtsamkeit. So kam ich sehr bald mit Begriffen wie Achtsamkeit, Meditation, Mitgefühl, und ebenso mit den Vier Edlen Wahrheiten in Berührung. Damals konnte ich natürlich noch nicht viel damit anfangen, aber mein Erfahrungsdrang war geweckt. Ich erfuhr natürlich auch, dass Buddha in Lumbini im indisch-nepalesischen Grenzgebiet geboren wurde, und so begann ich, mich mehr und mehr mit Indien zu befassen, kaufte mir meinen ersten „Lonely Planet“ und andere Reiseführer, las andere Reiselektüre, auch Reiseberichte aus vergangenen Jahrzehnten wie z. B. Paul Bruntons „Von Yogis, Magiern und Fakiren. Begegnungen in Indien“, dass er 1937 nach seinem Indienaufenthalt 1930/31 veröffentlichte. Der zunächst in englisch veröffentlichte Originaltitel lautet „A Search in Secret India“ (1934). Dieses Buch hat mich ganz besonders fasziniert. Mehr über Paul Brunton findet sich auf Wikipedia.
Damals kannte ich auch Bhagwan-Anhänger, die von ihren Aufenthalten im Ashram in Pune berichteten. Der Ashram interessierte mich persönlich zwar nicht, aber ihre Schilderungen über das indische Leben, und was ich darüber in meiner Reiseliteratur las, fand ich interessant. Und so wurde der Landesname „Indien“, das Geburtsland Buddhas, hinter dem sich für mich unglaubliche Geheimnisse und Mysterien verbargen, mehr und mehr zu einem Reizwort für mich und irgendwann war das Ziel Indien dann klar.
Ich bin zwar auch noch zweimal, 1981 und 1982, in den USA gewesen, hatte nach den Reisen aber das Gefühl, dass mich das Land nicht mehr interessiert. Das amerikanische Leben war mir zu steril und zu oberflächlich, und Indien, ja Indien musste irgendwie völlig anders sein, und im Gegensatz zu den USA in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Das, was für mich in den USA faszinierend war, waren die unendlich großen Wüstengebiete und Canyons, und dann gab es immer schon, verstreut über die ganzen USA die kleinen spirituellen oder auch New Age - "Oasen", Yoga-Ashrams usw., zu denen auch Big Sur, dieser kleine Ort an der kalifornischen Küste gehört(e). Big Sur an der kalifornischen Westküste war damals schon bekannt durch das "Esalen-Institute" und dadurch, dass Henry Miller hier lange gelebt hat. Ich war damals ein Anhänger seiner Literatur, und so war es interessant, ein wenig auf seinen Spuren wandeln zu können, insbesondere seine Bilder und andere Dinge in der Coast Gallery zu betrachten. In Paris, wo Miller auch lange Zeit gelebt hat, hatte ich das Vergnügen, im Spätsommer 1981 einmal auf Spurensuche gehen zu können.
Das Esalen-Institute wurde Anfang der 60er Jahre als ein alternatives, humanistisch ausgerichtetes Seminar- und Kongresszentrum gegründet. Zahlreiche bekannte Therapeuten wie z. B. Ronald D. Laing, Moshé Feldenkrais, Alexander Lowen, Fritz Perls, Carl Rogers, und "Gurus" der amerikanischen "Flower-Power" und "New-Age"-Bewegung wie z. B. Deepak Chopra, Fritjof Capra, Carlos Castaneda, Stanislav Grof, Aldous Huxley, Alan Watts lehrten auf Workshops und Kongressen, und noch heute finden jährlich zahlreiche Seminare zu, im weitesten Sinne, spirituellen und psychologischen Themen und andere Veranstaltungen statt. Häufig gingen von Esalen wichtige Impulse der "New Age"-Bewegung, auch in Richtung Europa aus.
Auch wenn mir Anfang der 80er Jahre klar wurde, dass ich nach Indien wollte, vergingen noch einige Jahre, aber im Dezember 1985, genauer gesagt am 28.12. startete ich dann zu meiner ersten Reise.
Ich möchte nun aber nicht, z. B. anhand von Tagebuchaufzeichnungen chronologisch berichten, sondern einfach in meiner "inneren Schatztruhe" mit neueren und älteren (wiedergefundenen) Erinnerungen, Erlebnissen, unvergänglich im Gehirn abgespeicherten, nicht mit der Camera aufgenommenen Fotos usw. kramen, über Ereignisse, Menschen und erlebte Situationen berichten, die mir besonders gut in Erinnerung sind. Natürlich aber erzählen mir auch Dinge wie Fotografien, Tickets, Eintrittskarten, Briefe, Geschenke usw. ihre Geschichten, lassen verschüttete Erinnerungen wieder wach werden......
Winter 1985/86
Bei Winterwetter war ich abgeflogen, und sogar die Tragflächen des Flugzeuges mussten vor dem Start noch enteist werden. Das Flugzeug landete in der Nacht vom 28.12. auf den 29.12.1985 irgendwann zwischen 1 und 2 Uhr morgens in Bombay. Der Airport war in den 80er Jahren noch sehr überschaubar und fast kleinstädtisch. Der typisch muffige Geruch ist teilweise bis heute geblieben. Nachdem ich die Einreisekontrollen hinter mich gebracht, Geld gewechselt hatte und aus dem Ausgang trat, fiel sofort das volle indische Leben über mich her, und ich stand einfach nur da in der Wärme der indischen Nacht, staunend, überfordert, hilflos, mich wie auf einem anderen Stern fühlend. Zwei oder drei Stunden mag ich wohl dagestanden haben, wie paralysiert, wie das Kaninchen auf die Schlange starrend. Moskitos schwirren heran und versuchten, zu dem Neuankömmling in Indien Kontakt aufzunehmen. Gepäckträger bestürmten mich, unendlich viele Menschen, Autos, Rikshaws usw. standen auf dem Vorplatz, Busse fuhren vorbei, neue Gerüche stürmten auf mich ein, es war warm, Menschen starrten mich an, und ich stand einfach nur da und staunte, staunte ungläubig... Irgendwann erwachte ich dann wieder, langsam ging die Sonne auf.
In meinem "Lonely Planet" hatte ich natürlich u. a. schon gelesen, dass man mit einem Bus in das Stadtcentrum Colaba im Süden von Mumbai fahren könne. Der Bus hielt in einer kleinen Nebenstraße hinter dem berühmten Taj Mahal Hotel. Ich stieg aus, und da stand er auch schon: Prakash, ein 20 bis 25jähriger junger Mann der sich sofort anbot, mir mein Reisegepäck zu der Unterkunft zu tragen, die er mir zuvor empfohlen hatte und die ca. 10 Minuten entfernt war. Ich war ganz froh. Irgendwie war er freundlich, unaufdringlich, erschrak mich aber im ersten Moment, da er ein wenig wie einer jener sog. "Wolfsmenschen", aussah, die eine sehr starke Gesichtsbehaarung haben. Er hatte für sein Alter überdimensionierte Augenbrauen, seine schwarzen Haare wuchsen ihm tief ins Gesicht hinein, und sein Schläfenansatz reichte bis an seine Augenbrauen heran. Mitten in der Nacht mit einem völlig fremden Menschen, das war mir dann doch nicht so ganz geheuer, zumal das Reisehandbuch ja auch Warnhinweise enthielt...
Aber, er brachte mich freundlich und aufmerksam zum Seashore Hotel, gelegen im 3. oder 4. Stock eines Hauses in einer Nebenstraße hinter dem Radio Club, kassierte seine Provision vom Hotelier, ein Trinkgeld von mir und verschwand wieder. In den nächsten Tagen sahen wir uns gelegentlich auf der Straße und grüßten uns freundlich.
Das Hotel war einfach und einigermaßen sauber, hatte ganz einfache Schlafkabinen, wie Schuhkartons, mit Trennwänden aus Holz, sodass ein direkter akustischer Kontakt zum Nebenzimmer immer gegeben war. An der Decke leierte ein Ventilator mit einem rhythmischen Quietschen vor sich hin, und wenn man aus dem Fenster schaute, konnte man ohne Probleme in das Zimmer nebenan schauen. Eines Abends bekam ich dann mit, wie sich zwei Junkies im Nebenzimmer ihre Spritze setzten, und überhaupt wohnte in der Absteige ein buntes, manchmal auch zwielichtiges Völkchen was mich dazu bewog, mein Quartier zu wechseln.... Das Viertel um das Hotel herum...(Fortsetzung folgt)
Die Tage in Bombay waren angefüllt mit einem staunenden "durch-die-Stadt-streifen", ich lief und fuhr mit Rikshaws etliche Kilometer durch die Stadt, in abgelegene Viertel, zu Sehenswürdigkeiten wie Crawford Market usw., traf freundliche, neugierige Menschen, geschäftstüchtige Händler, wurde zum Chai eingeladen.... Ich besuchte Museen, Kunstaustellungen, und immer, wenn ich nach Bombay/Mumbai kam oder komme, war, bzw. ist für mich ein Fixpunkt die Jehangir Art Gallery mit ihrem kleinen Cafe und das Museum of Modern Art, die zusammen mit dem historischen Museum nahe beieinander liegen. In der Jehangir Art Gallery gefiel und gefällt mir immer wieder besonders, dass die Künstler, die dort ausstellen, sehr häufig persönlich anwesend sind. Eine wunderbare Möglichkeit, mit ihnen über ihre Kunst in's Gespräch zu kommen. Die Jehangir Art Gallery und das Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (früher Prince of Wales Museum) liegen fast "inselartig" auf einer großen Grünfläche, umrundet von der MG Road, K Dubash Marg und Shahid Bhagat Singh Road. Quasi "um die Ecke" bei der Gallery befindet sich auch das Max Mueller Bhavan (Goethe- Institut). In der K Dubash Marg und den angrenzenden Straßen findet seit vielen Jahren jährlich im Februar das Kala Ghoda Arts Festival statt, ein Festival der einheimischen Künstler mit diversen Aktionen, Ausstellungen von Skulpturen usw. Auf den Gehsteigen vor der Gallery präsentieren ganzjährig Maler ihre Werke, ein wenig weiter findet man Imbissbuden, Friseure, Busstände, und auf meiner ersten Reise 1985, auch die Zeit, in der Computer mehr und mehr Einzug hielten, fanden sich noch einige "Schreibbüros", kleine überdachte Buden, in denen vorwiegend Männer an mehr oder weniger alten Schreibmaschinen saßen, und gegen eine Gebühr Schreibarbeiten für schreibunkundige Menschen erledigten. Heute gibt es solchen Dienstleistungen wohl überwiegend nur noch in vielen ländlichen Gegenden. Auf dem nahen Platz des Gateway of India findet sich eine Statue des Hindu-Gelehrten Swami Vivekananda, der 1893 als erster Hindu am ersten Parlament der Weltreligionen in Chicago teilgenommen hat.
Ebenfalls in der Nähe des Gateway of India gab es damals einen kleinen, aus weissen Kacheln gemauerten Tempel mit kleinen Statuen von Shirdi Sai Baba und anderen indischen Heiligen und Göttern. Irgendwann in den 90er Jahren musste er dann dem Bau eines anderen Gebäudes weichen. Es war ein richtiges Kleinod und ich freue mich, dass mir zumindestens noch meine Fotos geblieben sind. Ich kam also zu dem kleinen Tempel, und sah auf einer Stufe nebenan einen alten interessant aussehenden Mann sitzen. Er sah mit seinen langen, weissen, gewellten Haaren und dem ebenso weissen langen Bart ein wenig aus wie Tagore (indischer Dichter, Philosoph, Maler, Nobelpreis für Literatur 1913, *1861, +1941) in seinen späten Jahren. Wie sich später herausstellte, war sein Name Shankar Baba, und er musste damals mindestens schon 80 Jahre alt gewesen sein. Wir kamen in's Gespräch und er erzählte mir u.a., dass er vor zig Jahren noch für die Engländer gearbeitet habe, zu einer Zeit, als Indien noch unter britischer Knechtschaft stand. Jetzt schlage er sich so durch's Leben, sei im Winter mehr im Süden, also auch in Bombay, und im Sommer mehr im Norden von Indien anzutreffen und seine frei gewählte Aufgabe sei es nun, die kleine Tempelanlage zu pflegen. Irgendwann sagte er dann, jetzt müsse er sich verabschieden, um ein "Pfeifchen" zu rauchen, lud mich auch noch dazu ein, aber ich verabschiedete mich... Ein Jahr später, 1987, kam ich wieder zu der gleichen Stelle, und wen traf ich da? Shankar Baba natürlich. Ich fand es einfach nur schön als er aufstand, auf mich zukam und sagte: "Da bist du ja wieder...."
Sehr schön und spannend fand und finde ich auch immer wieder den Stadtteil Juhu mit seinem bekannten Beach im Norden von Mumbai/Bombay. Ein interessantes, fast kleinstädtisches Viertel mit einem prachtvollen Tempel der Hare Krishna - Bewegung und anderen kleinen Tempeln. Der Juhu Beach selbst lädt nicht sonderlich zu einem Badeaufenthalt ein und ist auch mehr ein Treffpunkt der Menschen aus dem Viertel und aus anderen Teilen der Stadt, insbesondere in den Abendstunden und an Wochenenden. Familien finden sich hier ein um zu picknicken, Verkaufsstände bieten verschiedene Dinge an, Imbissbuden ihre Speisen, kleine, von Menschen betriebene Karussels drehen ihre Runden, andere findige Menschen bieten Spiele wie Ringe werfen oder das berühmt-berüchtigte und nach wie vor verbotene Hütchenspiel an, Artisten führen ihre Kunststücke auf, und auch Drogendealer versuchen, ihren Stoff unter die Leute zu bringen. Tagsüber kommen aber auch dann und wann mal Schülergruppen um, häufig auch mit großen Schläuchen von LKW-Rädern, in's Wasser zu gehen. An Holi, dem sehr farbenfrohen indischen Frühlingsfest, welches meistens am Vollmondtag des Monats März stattfindet, wird immer ein großes Feuer veranstaltet, verbunden mit einer Puja (hinduistisches, religiöses Ritual zu Götterverehrung) und fast tranceartigen Tänzen zu wilden Trommelrythmen um das Feuer herum. 3 - 4 mtr. hohe Stämme werden für das Feuer aufgestellt. Wenn du tagsüber durch die Straßen gehst kann es dir passieren, dass dich hier und da plötzlich eine handvoll Farbpuder trifft. Auch das ist typisch für Holi, und entsprechend sah meine Kleidung abends dann auch aus. Am nächsten Morgen färbt sich dann das Wasser am Juhu Beach von den abgewaschenen Farben. Vielleicht tritt gerade auch einmal, wenn du nach Juhu Beach kommst, abends in einem nahen Park eine Schauspielertruppe auf, um über mehrere Stunden hin Szenen aus dem Mahabharata aufzuführen. Das Mahabharata ist, wie oben schon erwähnt, das größte Epos Indiens mit ca. 100000 Doppelversen ein Ausdruck für die wunderbare und unglaublich reiche Kultur des Landes, was wir uns immer mal wieder bewusst machen sollten. Sie enthält auch die größte heilige Schrift der Hindus, die Bhagavad Gita.
Ein anderes indisches Erlebnis: An einem Sonntag im Februar oder März veranstalten wohlhabende Inder aus Mumbai und anderen Städten eine Oldtimer Rallye durch die ganze Stadt, durch den häufig stehenden Verkehr, und einer der, oder sogar der nördlichste Haltepunkte ist dann Juhu Beach. Man bekommt dann dort die Autopracht, oder zumindest einen Teil davon, der Reichen, der Maharajas usw. zu sehen. Und an irgendeinem anderen Tag erlebst du dann vielleicht einen Hochzeitszug: Der Bräutigam aus der indischen Oberschicht, hoch zu Pferde, toll geschmückt, begleitet von einer "Truppe" von Musikern und Tänzern, bahnt sich seinen Weg durch das Verkehrschaos, um zu seiner Liebsten zu gelangen, die in einem der Luxushotels in direkter Meerlage auf ihn wartet, wo dann die Hochzeitszeremonie mit, in der Regel mehreren hundert Gästen gefeiert wird. Tags zuvor hat Sharukh Khan, einer der indischen Filmstars, in diesem Hotel eine Filmszene abgedreht, und seine Fans strömen zu der Mauer, die das Hotel vom Strand trennt, bringen sich Stühle und Leitern mit, nehmen sich gegenseitig auf die Schultern, um vielleicht einen Blick auf ihren Star zu erhaschen.
Eine sehr schöne Atmosphäre am Juhu Beach erlebe ich immer am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang: Die ersten Spaziergänger mit und ohne Hund sind ebenso unterwegs wie Jogger, Yogis und Yoginis, die ihre Asanas praktizieren usw.....
Wenn du vielleicht auf der Terrasse eines kleinen Restaurants am Strand sitzt, kommen manchmal Artisten vorbei, z. B. einer, der unglaublich akrobatische Yogastellungen vorführt, ein Vater, der mit seinem Sohn mithilfe einer drei bis vier Meter langen Stange Balance-Kunststücke vorführt, Drahtseilkünstler usw....
Zu dem Vater, der zusammen mit seinem Sohn Balance-Kunststücke vorführt, kommt mir eine buddhistische Geschichte aus der Achtsamkeitspraxis in Erinnerung, die ich einmal irgendwo gehört habe: Der Artist gibt seinem Sohn den Ratschlag, während der Vorführung gut auf ihn zu achten, während er selbst gut auf seinen Sohn achten wird. Das ist sicherlich sehr wichtig sagt sein Sohn, aber besser ist es, wenn ich auf mich achtgebe, denn dann achte ich auch auf dich, und wenn du auf dich achtgibst, achtest du auch auf mich.
Zuletzt war ich im Februar 2016 und im Dezember 2023 in Juhu Beach und musste leider feststellen, dass der Treffpunkt Juhu Beach sehr viel von seiner ursprünglichen, fast familiär-kirmesähnlichen Atmosphäre verloren hat. Ich war just zum Valentines Day dort, der in Indien für die Mittelschicht eine sehr große Bedeutung hat (warum, verstehe ich nicht), und es trafen sich abends tausende von Menschen am Strand, um dort eine schöne Zeit zu verbringen...
Doch zurück zum Januar 1986: Eigentlich hatte ich keinen Plan davon, welches Ziel mein nächstes nach Bombay sein sollte. Es gab auf meinen Reisen Momente, in denen ich völlig unfähig war, hinsichtlich meines nächsten Zieles Entscheidungen zu treffen. Und so saß ich dann hin und wieder 1 - 2 Stunden oder auch mal länger da, bis ich mich dann entschied, weiter zu reisen. So war es auch in Bombay. Von einem Mitarbeiter eines Reiseveranstalters, der bei einem Reisebüro in Bremen einen Diavortrag über Indien gehalten hatte, hatte ich die Adresse eines Reisebüros in Bombay bekommen, mit dem er kooperierte. Er meinte, ich könne es aufsuchen, wenn ich mal Hilfe und Informationen brauche. Nach den spannenden Tagen in Bombay hatte ich mich dann entschlossen, per Zug nach Kerala zu fahren. Subash, Mitarbeiter im Reisebüro, hatte von seiner Chefin den Auftrag bekommen, mich absoluten "Indienneuling" beim Kauf einer Fahrkarte von Bombay nach Trivandrum/Kerala, wie es damals noch hieß, zu unterstützen. Gesagt, getan. Wir standen also in einer Schlange von 20 - 30 Leuten am Schalter in der Victoria Station. Das Warten, z. B. am Fahrkartenschalter, Geduld zu haben, zu entwickeln, war wohl eine der ersten Übungen, die Indien mir mit auf den Weg gab.
Eine Reise mit der Bahn in Indien, insbesondere die erste, ist natürlich ein aufregendes Erlebnis, zumal meine Zugfahrt von Bombay/Mumbai nach Trivandrum 24 - 36 Stunden dauerte. Genau weiss ich das nicht mehr. Ich hatte einen Platz in einem der offenen Abteile, deren Sitzbänke nachts als Betten dienen, vier in jedem Abteil, und nochmals zwei gegenüber dem Abteil an der Fensterseite. Damals wie heute hat sich oft nicht viel verändert: Du triffst häufig freundliche, neugierige Menschen, die oft jede deiner Bewegungen genau verfolgen, dich einfach lange ansehen, nicht anstarren, sondern mit ganz entspanntem Gesicht einfach nur schauen, dich mustern, Fragen stellen, genau beobachten, was du dir zum essen aus deinem Gepäck holst.... An Bahnstationen stürmen kleine Händler die Zugabteile, ein junger Mann läuft durch den Gang und hält mit der rechten seine linke Hand hoch, die einer "Klumphand" gleicht, Bettler kommen an die Zugfenster, Teeverkäufer gehen mit ihren kleinen Wagen den Bahnsteig auf und ab und bieten dabei mit nicht zu überhörender, durchdringender, manchmal schnarrender Stimme ihren Chai an. Ein Händler hat auf einem kleinen Holzbrett die "klassische" Kampfszene zwischen Kobra und Mungo mit zwei ausgestopften Tieren nachgestellt, und natürlich kommen immer mal wieder die "Kellner" durch die Gänge, um ihre warmen Speisen anzubieten. Besonders sind mir dabei noch die veg. Samosas oder auch Pakoras, eingewickelt in Zeitungspapier in Erinnerung. Abends kommt dann noch meistens der Schaffner vorbei, um Handtücher und Wolldecken für die Nacht zu bringen. Und auch, wenn du dir als "Westler" abends deinen Schlafplatz bereitest, dir deine Tageskleidung ausziehst, für Inder eher ungewöhnlich, wird das genau beobachtet.
Die kleinen indischen Speisen wie z. B. veg. Samosas, veg. Pakoras, fried Idlis, Vada Sambhar, Dosas und, und ,und gehören in Indien immer zu meinen Lieblingsspeisen. Dazu kommen natürlich auch die süd- oder nordindischen Thalis..... Auch die indische Kochkunst ist ein Extrem, im positivsten Sinne...
In indischen Zügen ist es nicht wirklich ein Verstoß, wenn du während der Fahrt mal eine Zugtür öffnest, dich in die geöffnete Tür setzt, vom Wind berühren, und Dörfer und Landschaften sozusagen aus nächster Nähe an dir vorüberziehen lässt. Menschen, die auf nahen Wegen oder neben den Bahngleisen unterwegs sind, winken dir zu....
Kerala
Irgendwann am übernächsten Tag erreiche ich dann Trivandrum/Thiruvananthapuram in Kerala im Südwesten Indiens, und die Bekleidung der meisten Reisenden ist dann auch vom Ruß, den die alten Dampfloks ausstossen, und von dem immer auch ein wenig durch die geöffneten Fenster hereinkommt, leicht "eingefärbt", je nachdem, ob man in einem Waggon gleich hinter der Lok sitzt oder weiter hinten....
Mein Reisehandbuch, das damals noch ein gut tragbares Gewicht, allerdings auch schon 790 Seiten hatte, "empfahl" mir dann auch ein Guesthouse, das "International Touristhome" für 12 Rupien! Naja, das war 1986. Das Haus kam mir ein wenig wie eine Arrestanstalt vor: Von einem Gang aus waren die "Zimmer" zu erreichen, mit vergitterten Fenstern zum Flur und auch zur Fensterseite. Mir gefiel es gut, ich fühlte mich dort wohl.
Nachdem ich zwei, drei Tage lang Trivandrum durchstöbert hatte, zog es mich dann doch ans Meer, und per Rikshaw fuhr ich nach Kovalam, dem nächst gelegenen Ort an der arabischen See. Ich genoss den Strand, die kleinen Wanderungen, insbesondere eine in Richtung Süden zu der kleinen Bucht mit dem Fischerdorf, in dem Hindus, Christen und Moslems friedlich beieinander lebten. Die große Darga Sharif Vizhinjan - Moschee, die weithin zu sehen ist, wenn man vom Lighthouse Richtung Süden schaut, war damals noch im Bau. Der Strand der Bucht war voller Fischerboote, und ich kann mich noch gut an die Kirche und den Tempel in Strandnähe erinnern. Eine große Menschenmenge stand am Rand der Bucht und schaute auf das Meer hinaus, um die Ankunft der Fischerboote zu erwarten…. Heute ist der Ort ein ausgebautes (Fischerei)Hafengebiet.
Mein Quartier in Kovalam liegt etwas oberhalb der Hauptstraße, und unter meinem Moskitonetz fühle ich mich gut aufgehoben, da sich durch die zerbrochenen Fensterscheiben nachts auch die eine oder andere Ratte auf der Suche nach Fressbarem in meinen Raum verirrt. Kakerlaken gibt es sowieso, und für die Geckos bin ich sehr dankbar, da sie dafür bekannt sind, Insekten, also auch Moskitos zu fressen.
Ein großes Vergnügen und schönes Erlebnis ist auch immer eine Fahrt auf Keralas Backwaters. Ich genoss die Fahrt von Quilon nach Alleppey auf einem der Fährboote, die an jeder “Milchkanne” halten. Die Fahrt dauerte mindestens 8 - 10 Stunden, das Boot war natürlich völlig überladen, und etliche von uns Rucksacktouristen genossen es, auf dem Verdeck des Schiffes zu sitzen und die Beine herunter baumeln zu lassen. Die Touristenboote, mit denen man heute diese Strecke fährt, gab es damals, glaube ich, noch nicht. Mit einem dieser Boote haben wir die Tour im Winter 2017/2018 noch einmal gemacht. Für mich war es die zweite Bootstour auf dieser Strecke nach 31 Jahren, und auch der zweite Aufenthalt in Kochin/Cochi.
Weiter geht es am übernächsten Tag mit einem kleinen Fährboot nach Kottayam. Wieder habe ich eine wunderbare Fahrt von 2 – 3 Stunden durch die Backwaters, genieße auf dem Verdeck sitzend die gemächlich vorüberziehende Landschaft mit Reisfeldern, kleinen Siedlungen usw. und den Luxus, während der ganzen Fahrt der einzige Passagier an Bord zu sein. Von Kottayam fahre ich weiter mit der Bahn nach Ernakulam und Cochin (heute Kochi). Ich erinnere mich noch, dass der Stadtteil Fort Kochi um die „weltberühmten“ chinesischen Fischernetze herum sehr ruhig und beschaulich war und ich an einem wunderbaren Sonntagmorgen ausgedehnte Spaziergänge durch die fast leeren Gassen mache…..
Am Abend habe ich die große Freude, bei einem Tempelfest in einem recht kleinen der etlichen Tempel in Cochin dabei sein zu können. Nachmittags schon werden die Tempelelefanten geschrubbt, gewaschen und geschmückt. Auf dem Weg zum Tempel ist im Laufe des Nachmittags ein kleiner Jahrmarkt entstanden mit Imbissbuden, Spielzeugverkauf usw., einige Kartenleger/innen und Wahrsager/innen bieten ihre Dienste an, darunter auch ein Kartenleger, der aus einer Reihe von Karten zwei Karten von Papageien der Gattung der sog. „Unzertrennlichen“ herauspicken lässt, und damit dann seine Vorhersagen für das Leben macht. Diese Art der Wahrsagerei begegnet dir in vielen indischen Orten. Nach und nach füllt sich der Tempelinnenhof, und ich suche mir einen Platz auf der nicht allzu hohen Mauer, die den Innenhof umrundet. Der Haupttempel im Zentrum ist über und über mit kleinen Öllampen geschmückt. Drinnen halten Priester ihre Zeremonie/Puja ab, und irgendwann beginnt dann die Tempelprozession. Drei geschmückte Elefanten, gefolgt von einigen Priestern, umrunden mehrfach den Haupttempel und werden dann zu ihren Plätzen geführt, wo sie ihr Futter bekommen. Auf der mir gegenüberliegenden Seite ist im Innenhof eine Bühne errichtet worden, auf der Schauspieler einige Stunden lang im Stil eines Volkstheaters Szenen aus dem Mahabharata aufführen. Alle Zuschauer, einige sitzen auf der Mauer, bzw. stehen dicht gedrängt im Innenhof und verfolgen gebannt, bei einzelnen Szenen Beifall spendend und mit Zwischenrufen die Handlung auf der Bühne begleitend. Für mich ist es ein unvergessliches, fast märchenhaftes Ereignis, dem ich für Stunden fasziniert zuschaue…..
Mein Aufenthalt in Kerala geht seinem Ende entgegen, und ich überlege, wohin ich jetzt reisen möchte. Das Ziel meiner nächsten Bahnreise ist zunächst Mysore. Mein Reisehandbuch hatte mir natürlich auch für Mysore eine preiswerte Unterkunft empfohlen und ich genoss es, Tempel, Museen, und natürlich auch den bekannten Mysore Palace zu besichtigen, Ausflüge auf die Chamundi Hills, etwas östlich von Mysore, mit ihrem bekannten Sri Chamundeshwari Tempel und der überlebensgroßen Statue von Nandi, dem Reittier Shivas, und nach Somnathpura mit seiner alten Tempelanlage (ca. 13. Jahrhundert) zu machen, oder einfach durch die Stadt zu streifen. Im einfachen Restaurant meiner Unterkunft wurden Thalis serviert, eine weitere, der vielfältigen indischen Speisen. Ein Thali ist eine typische indische Speise mit verschiedenen Zutaten und Beilagen, vielfach um eine große Portion Reis herum garniert, die meistens auf einem Blechtablett, dem Thali, oder im Süden meistens auf einem Bananenblatt serviert, und bei denen die verschiedenen Zutaten vielfach nachgereicht werden. Je nach Region variieren die Zutaten und Beilagen, entweder vegetarisch oder nicht vegetarisch.
Einige Tage später ging es wieder per Bahn weiter nach Madras/Chennai. Mein Quartier lag in der Gegend der Egmore Railway Station, also sehr zentral. Ich ließ mich treiben, und streifte wie schon in Mumbai kreuz und quer durch die Stadt. In den 80er Jahren interessierte ich mich u. a. für Theosophie und hatte natürlich auch erfahren, dass der Hauptsitz der Theosophischen Gesellschaft Madras war/ist. Also stand vor allem ein ausführlicher Besuch dort, im Stadtteil Adyar auf meinem Plan. Neben meinem tagesfüllenden Besuch der Theosophical Society Adyar (www.ts-adyar.org/) wurde ich auch noch zufällig Zuschauer der Parade zum Replublic Day an der Strandpromenade, und an einem anderen Abend begegnete mir dann erstmals die Philosophie, das Gedankengut von Ramana Maharshi. Er war ein bedeutender indischer Weisheitslehrer, *30. 12.1879, +14. 04.1950. Ich hatte die Tageszeitungen nach Veranstaltungen mit klassischer, indischer Musik, Theater, Tanz usw. durchsucht und stieß auf eine Veranstaltung in der Music Academy Hall. Dort wurde ein Dance Ballet, das Ramana Vijayam, Leben und Lehren Sri Ramana Maharshis aufgeführt.
Es gab auch einen Büchertisch mit verschiedenen Informationsschriften, Büchern usw. Darunter fand ich auch
das Family Journal of Ramana Maharshi Centre for Learning, Bangalore, Vol. V, No. 11, December 1985, aus dem ich einen sehr schönen, poetischen Text zitieren möchte:
„Die herrliche Sonne, der zarte Mond. Die atemberaubende Schönheit des Sonnenlichts, das einen goldenen Umriss hinter den Berggipfeln entwirft, mit Staubpartikeln in Strahlen, in Spalten, Ritzen, Fenstern und Türen menschlicher Behausungen tanzt oder geheimnisvolle Schatten auf unentdeckte Waldböden wirft.
Goldgelb erhebt es sich am Morgen und bringt Leben in alle Dinge, die Wachsamkeit und Schönheit der Morgendämmerung, Vögel beginnen zu singen, Tautropfen glitzern auf Gras und Blumen, Pflanzen erwachen zum Leben und entfalten ihre Blätter, und der Geist erwacht.
Die Sonne, durch die das Leben auf der Erde entsteht, ist für das menschliche Auge zu hell, um sie in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Wir müssen sie sehen, wenn sie auf- oder untergeht, hinter einer Wolke, die sie in geschmolzenes Silber verwandelt, oder gebrochen in Regentropfen, die den siebenfarbigen Bogen über den Himmel bilden. Die herrliche Sonne.“ (Deepl-Übersetzung)
Nachdem ich wiederum per Bahn von Madras/Chennai nach Delhi gefahren war, verlebte ich dort die letzte Zeit meiner Reise. Ich hatte mich in dem Billig-Hotel „Yatri Niwas“, einem mindestens 15-stöckigen, unansehnlichen Hochhaus einquartiert, das wohl Jahre zuvor als Quartier für Teilnehmer der „Asienspiele“ gebaut worden war. Ich besuchte Museen, das „Rote Fort“ und etliche andere markante Orte der Stadt, die Lalit Kala Academy, die herausragende Ausstellungen indischer Künstler hat, und wo ich mich mit Reproduktionen und Drucken klassischer, indischer Malerei „eindeckte“, ich ließ mich durch die Basare der Altstadt von Delhi mit ihren unzähligen Shops, diversen Gerüchen, Düften und Farben treiben, bis ich mich verlaufen hatte und nicht mehr wusste, wo ich wirklich war. Ich schaute dort in kleine Werkstätten hinein, wo verschieden Dinge produziert wurden, Metallteile, Weihrauchkegel und Räucherstäbchen usw., probierte hier und dort etwas in einer der kleinen Imbissbuden, trank den frisch gepressten Zuckerrohrsaft….. Von Delhi aus machte ich dann noch einen Ausflug nach Agra, wo vor allem das Taj Mahal, das rote Fort, und natürlich Souvenirshops mit den für Agra typischen Marmor-Einlegearbeiten, wofür auch das Taj Mahal bekannt ist, auf dem Programm standen.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiede ich mich von Indien…..
Ich hatte Indien geradezu in mich aufgesogen, Augen, Ohren, alle Sinnesorgane liefen mir über....
1986 entdeckte ich in einer deutschen Zeitschrift einen Artikel von P. N. Oak (*März 1917 - +Dezember 2007) Journalist, Hobbyforscher und President Institute for Rewriting Indian History (Institut für die Neuschreibung der indischen Geschichte). Das Thema seines Artikels war der vedische Ursprung, die vedische Vergangenheit Europas. Ein spannendes Thema!!! Kurzerhand schrieb ich ihm einen Brief und fragte ihn, ob ich ihn einmal besuchen dürfte, weil ich sehr gerne mehr über seine Forschungen erfahren würde. Er hatte mir im Januar 1987 einen langen Brief geschrieben, in dem er seine Thesen darstellte und mir auch eine Kopie seiner Forschungsarbeit beigefügt, ein Vortrag, gehalten Anfang September 1986 auf einem archäologischen Weltkongress in Southhampton. Sein herausforderndes Thema: „Die Notwendigkeit, grundlegende archäologische und historische Konzepte zu überdenken.“ Im Jahr 1987, auf meiner nächsten Reise versuchte ich, Mr. Oak dann in Delhi zu erreichen. Wir hatten uns vor meiner Reise bereits verabredet, aber in Indien kann immer etwas dazwischen kommen…
Ich zitiere aus seiner Schrift:
„Aber Geschichte und Archäologie dürfen nicht länger die Tatsache ignorieren, dass das christliche Europa, das muslimische Westasien und alle anderen Regionen der Welt einst eine vollwertige vedische Zivilisation mit den Veden, den Upanishaden, den Puranas, dem Ramayan Mahabharata, der vedischen Musik, der vedischen Medizin, dem vierfachen Sozialsystem, dem Gurukul-Muster der Bildung und der Sanskrit-Sprache hatten.“
„Ebenso gehören alle alten Städte in muslimischen und europäischen Ländern wie Damaskus, Bagdad, Samarkand, Bokhara, Istanbul, Kairo, Alexandria, Mekka, London, Paris, Rom, Ravenna, Amsterdam und Wien zu einer vorchristlichen vedischen Kultur.“ (Deepl-Übersetzung)
In diesem Zusammenhang schrieb er mir in seinem Brief, die italienischen Städte Rom und Ravenna wären nach dem Gott Rama und dem mythischen Dämonenkönig aus dem Ramayana, Ravana benannt worden.
Streitigkeiten über einige seiner „verwegenen“ Thesen bzw. Behauptungen, das Taj Mahal wäre ebenso wie Westminster Abbey, Vatikanstadt usw. als hinduistische Tempel errichtet worden, und das Papsttum wäre eigentlich eine vedische Priesterschaft, liefen über lange Zeit. Gerichtliche Streitigkeiten über seine Behauptung, das Taj Mahal sei ein hinduistischer Tempel liefen bis lange nach seinem Tod. Er war in Indien mit seinen Hobbyforschungen nie als ernsthafter, seriöser Wissenschaftler anerkannt und galt eher als Revisionist (s. a. wikipedia).
Nachdem ich im Winter 1985/86 meine erste Reise nach Indien gemacht hatte, war mir ziemlich schnell klar, dass ich wieder hin wollte, Indien hatte mich in seinen Bann gezogen. Es gibt die "Fraktionen" der "Indien - Lover" und der "Indien - Hater", und bei mir war klar, dass ich sofort zu der ersten Gruppe gehörte. Ich habe Reisende getroffen, die umgehend wieder abreisten, weil sie Indien nicht aushielten: die Armut, der Schmutz, die vielen Menschen... Jemand erzählte mir einmal, er wäre mit der Erwartung nach Indien gereist, quasi "an jeder Ecke" einen heiligen Mann zu treffen, was natürlich nicht zutraf. Viele Reisende sind sehr enttäuscht und frustriert, weil sie mit bestimmten Vorstellungen dorthin fahren, bestimmte Konzepte im Kopf haben und ständig nur vergleichen. So ziemlich der erste Lernprozess, der für mich in Indien begann war der, immer wieder zu versuchen, achtsam im Moment zu bleiben, nicht mein Leben zuhause mit meinem Teilzeitleben in Indien zu vergleichen, meine Erwartungen und Konzepte loszulassen und einfach nur unvoreingenommen und staunend, staunend, staunend und nicht wertend durch das Land zu reisen oder mir zumindest bewusst zu werden, welche Denk- und Wertungsmuster gerade ablaufen oder was mein "Kulturgepäck", meine angeeignete kulturelle Identität beinhaltet. Der zweite ganz wichtige Lernprozess der begann war der, zu erkennen, dass die Zeit in Indien eine ganz andere Bedeutung hatte. Was gefragt war, war Geduld, Geduld, Geduld und die Ruhe bewahren, z.B. in der Warteschlange am Fahrkartenschalter der Bahn, beim Ausfüllen von Formularen, die unzählige Fragen enthielten, und es durchaus sein konnte, dass mehrfache Korrekturen notwendig waren, und wenn es dann fertig war, schloss gerade der Schalter für die Mittagspause und es hieß lapidar: "come back in two hours"..... Damit umzugehen ist mir, bilde ich mir ein, im Laufe der Jahre auch einigermaßen gelungen - ich lerne natürlich immer weiter dazu - und ich konnte so viel offener für das Leben und Geschehen in Indien sein. Die Geduld hat zugenommen ebenso wie die Gelassenheit, und letztendlich führte mich der Weg dann dahin, dass Indien meine "zweite Heimat" wurde, mehr noch innerlich, insbesondere durch die buddhistische und hinduistische Philosophie. Habe ich Indien auf den ersten "rastlosen" Reisen per Bus und Bahn usw. geradezu in mich aufgesogen ohne zur Ruhe zu kommen, hat sich diese Haltung im Laufe der Jahre doch sehr verändert, und es geht mir mehr darum, einfach nur da zu sein..., und die Lernprozesse gehen weiter - zum Glück...
Indien hält immer Herausforderungen für dich bereit. Ich finde, diese zu erkennen, anzunehmen und aus ihnen zu lernen, ist das ist das beste, was dir geschehen kann. Indien hält einem immer einen Spiegel vor mit der Frage, "wer bin ich ?". Das heißt für mich z. B. auf einer Indienreise, mein eigenes Wohlstandsleben in Deutschland und die "Luxusprobleme", die wir im Westen oft haben zu hinterfragen. Ich weiß dann wieder mit Dankbarkeit neu zu schätzen, dass es mir mehrfacher Hinsicht gutgeht und alles nicht selbstverständlich ist.
1987 stand also die nächste Reise an, und in diesem Jahr standen Delhi, Goa und Rajasthan (Jaipur, Jodhpur und Udaipur) auf meinem Plan. Goa, die ehemals portugiesische Kolonie ist katholisch, und eines Abends stand ich an einer kleinen Straße, an der sich schon mehrere Dutzend Menschen versammelt hatten. Ich stand neben einem älteren Herrn (Father Mario Pires) im Priestergewand und fragte ihn nach der Bedeutung der Versammlung. Er erklärte mir, dass gleich die Prozession von "Our Lady of Fatima/Rosary (eine der bekanntesten portugiesischen Heiligenfiguren)" stattfinden würde. So kamen wir in's Gespräch und ich war eingeladen, anschließend noch mit zu seiner Familie zu kommen, um etwas zu essen. Seine Familie waren seine Nichte Nalini und ihre Schwester, und sein Neffe Joseph, die kleine Guesthouses betreiben, in denen er sein eigenes kleines Domizil hat. Father Mario ist in der Zwischenzeit verstorben. Er erzählte mir u. a., dass er auch schon einmal in Deutschland gewesen sei, allerdings nur sehr kurz. Er hatte einen Flug nach Kanada gebucht, und in Frankfurt einen Zwischenstopp. Diesen nutzte er, um auch den Flughafen zu verlassen, und es gelang ihm wohl damals als Priester irgendwie, durch die Kontrollen zu kommen, schlitzohrig, wie er war. Eine andere Episode, die von ihm überliefert ist, ist die Geschichte, dass eines Tages auf dem Grundstück der Apartmenanlage ein Beamter der Steuerbehörde auftauchte, um Steuern einzutreiben. Steuerzahlungen sind ja in Indien ein "schwieriges Thema."
Sein Neffe berichtete mir, der Beamte sei vorne in's Haus gekommen, und Father Mario sei blitzschnell mit einer Geldkassette nach hinten aus dem Haus verschwunden und habe diese eilig im Sand vergraben. Ich habe auch einmal einen Ostergottesdienst von ihm besucht, der frühmorgens sehr stimmungsvoll war. Zum Abschied hat Father Mario mir einmal, es war gerade Mangosaison, eine kleine Kiste mit frisch gepflückten Früchten geschenkt, die ich auch ganz gut im Handgepäck unterbringen konnte. Später bekam ich allerdings Probleme damit, weil die Früchte bei der Durchleuchtung des Gepäcks für Handgranaten gehalten, und genauestens inspiziert wurden. Aber ich konnte sie dann sogar noch problemlos nach Deutschland einführen.
Nach Goa machte ich mich dann auf den Weg nach Jaipur. Diese Stadt, sowie Udaipur, Jodhpur, Jaisalmer, Pushkar und andere Orte sind einige der touristischen Hotspots in Indien, und Rajasthan ist ohnehin ein sehr beliebtes Reiseziel. Für Jaipur hatte mir mein Reisehandbuch ein kleines, einfaches und preiswertes Hotel empfohlen, was in der Nähe des Chandpole Gate lag. Es war ein historisches Gebäude, das in früheren Zeiten einem Geschäftsmann gehörte. Ein für mich faszinierendes Detail dieses Hotels war die Klimatisierung der Räume: In eines der Fenster fast eines jeden Raumes wurde ein Rahmen eingebaut, in den über die Breite des Fensters dünne Äste und Zweige eingeflochten wurden. Von oben lief ständig ein wenig Wasser durch das Geflecht herunter in eine Wanne, von wo es dann wieder nach oben befördert wurde. So war das Astgeflecht in einem dauernden feuchten Zustand. Von außen wurde dann mit einem Ventilator durch das Geflecht frische Luft geblasen, die den Raum mit einer angenehmen Kühle, Luftfeuchtigkeit, und einem angenehmen, würzigen Duft von feuchtem Holz erfüllte. Das Chandpol Gate (nach Westen ausgerichtet) ist eines der Tore, durch die man die Altstadt von Jaipur, die sog. Pink City, so benannt wegen der Farbe der Häuser, betritt. Die Tore sind durch die alte Stadtmauer verbunden. Hier finden sich die touristischen Highlights wie u. a. der Palast der Winde, eine der fünf Sternwarten, die der Maharaja Jai Singh II in fünf Städten ab 1724 erbauen ließ. Diese Sternwarte, auch Jantar Mantar genannt (aus dem Sanskrit übersetzt= „denkendes/kalkulierendes Instrument“) und ihre „Schwester“ in Delhi waren für mich einige der Bauwerke, die mich am meisten fasziniert haben, geben sie doch Auskunft darüber, wie alt das astronomische Wissen der Inder ist. Weiter oben schrieb ich schon, dass die Inder ungefähr 500 n. Chr. erkannten, dass die Welt eine Kugel ist. Natürlich waren auch immer wieder meine Streifzüge durch die wunderbaren und spannenden Basare, wie z. B. dem Chandpole Basar, durch die kleinen Malerwerkstätten, Ateliers usw. wie ein Eintauchen in eine andere Welt für mich.
Eines Tages stöberte ich in den Shops eines Basars in der Nähe des Chandpol Gate auf der Suche nach einem kleinen Stadtplan. Plötzlich wurde ich von einem ca. 10-jährigen Jungen angesprochen mit Frage, ob er mir helfen könne. Er könne mir alles besorgen, zeigen usw. Ich erklärte ihm, auf der Suche nach einem Stadtplan zu sein. Er meinte, das sei für ihn kein Problem, und ich solle ihm ein wenig Geld geben. Irgendwo hatte ich einmal von einem Reisenden gelesen, dass er meistens sehr gute Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit von indischen Menschen gemacht hatte. Also sah ich keinen Grund für Misstrauen, und gab dem Jungen 20 Rupien mit der Bitte, mir einen kleinen Stadtplan zu besorgen. Wir verabredeten uns für zwei Stunden später am gleichen Ort. Leider verspätete ich mich und war gespannt, ob ich ihn wiedersehen würde. Ich wartete nun ca. eine halbe Stunde, und? – er kam sah mich etwas vorwurfsvoll an mit dem Hinweis, dass er mindestens eine Stunde auf mich gewartet habe….
Es ist eigentlich müßig zu berichten, dass auch diese Stadt seit meinem Besuch 1987 durch die wirtschaftliche Entwicklung ab 1990 dramatische Veränderungen erfahren hat. Die außenwirtschaftliche Öffnung Indiens begann 1991, und hatte das Land 1987 noch ca. 700 Millionen Einwohner, sind es heute 1,2 Milliarden. War die Atmosphäre 1987 am Chandpole Gate (Mond-Tor) und in den Basaren noch fast kleinstädtisch, gemütlich, wurde der gleiche Platz bei unserem zweiten Besuch 2018 z. B. regelrecht von Autos überschwemmt…
Nach Jaipur standen 1987 auch noch die Städte Udaipur und Jodhpur auf meiner Liste, und 2018 besuchten wir dann nochmals wiederum Jaipur und auch Pushkar (Fortsetzung folgt)
1987: Varanasi/Benares/Kashi
Varanasi ist die jetzige, meist gebräuchliche Bezeichnung der Stadt, Benares wird sie ebenso noch genannt, vor allem auch von Indologen, und Kashi ist die älteste Bezeichnung der ältesten Stadt Indiens. Andere Quellen sagen, dass sie „nur“ eine der ältesten Städte Indiens sei. Die Beschreibung „älteste Stadt Indiens“ wird ihr m. E. gerechter, denn ich habe hier das Gefühl, in das alte, historische Indien einzutauchen, mich in die Zeit zurück versetzt zu sehen, die ich von historischen Fotos z. B. aus dem Jahr 1907 kenne. Ich denke dann, dass sich die dargestellten Szenen, insbesondere die Badeszenen an den Ghats kaum verändert haben außer, dass sie damals vorwiegend noch schwarz/weiss aufgenommen wurden. Das Alter Varanasis soll lt. einiger Quellen bis auf das 11. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen. Der Name Kashi hat seine Wurzeln im Sanskrit und bedeutet in etwa „Stadt des Lichts“, ein sakraler Ort, die Stadt Shivas. Der Kashi-Vishwanath-Tempel, Shiva gewidmet, ist einer der wichtigsten Orte im religiösen Leben.
Varanasi gilt als die heiligste Stadt Indiens. Jeder Hindu sollte einmal Varanasi besucht, und ein Bad im heiligen Wasser von „Mutter Ganga“ genommen haben. Viele Hindus im hohen Alter kommen hierher, um zu sterben. Für die Bäder, und ebenso für die Bestattungsrituale gibt es besondere Badestellen, die Ghats, von denen eine Wikipedia-Liste über 80 Badestellen, verteilt über mehrere Kilometer hin am Flußufer ausweist. Die ältesten wurden vor „erst“ 400 – 500 Jahren angelegt. Die Bestattungsrituale werden von Angehörigen einer bestimmten Kaste durchgeführt. An ihrem Sterbeplatz werden die Toten in Leinentücher gewickelt, und von einigen Männern auf einer mit Blumen geschmückten Bahre hinunter zum Fluss getragen. Hier wird die Leiche nochmals gewaschen, und anschließend zur Verbrennung auf einen Scheiterhaufen gelegt. Die Angehörigen des Verstorbenen haben hierfür Priester „engagiert“, Holz gekauft und stehen in einigem Abstand um das Feuer herum. Aber Leichen werden nicht nur verbrannt, sondern auch eingewickelt in ihre Leinentücher dem Fluss übergeben. Insbesondere arme Familien, die sich kein Holz leisten können, wählen diesen Weg. Das war zumindest noch zu der Zeit meines ersten Besuches 1987 erlaubt. Heute geschieht das allerdings auch noch, zumindest mit nicht verbrannten Leichenresten. Im Laufe der Jahrzehnte wurde „Mutter Ganga“ zum am stärksten verschmutzten Fluss Indiens, für die Hindus jedoch ist der Ganges nach wie vor ein heiliger Fluss, der die Sünden fortwäscht, der die Asche der Toten aufnimmt. Auf ihrem Weg aus dem Himalaya heraus passiert „Mutter Ganga“ dann noch etliche Städte, die wesentlich durch „normale“ Abwassereinleitungen, Chemieabfälle, Abfälle der Leder- und Bekleidungsindustrie usw., usw. zur Verschmutzung beitragen, und auch die Zunahme des Plastikmülls ist dramatisch. Bei Allahabad kommt dann der Yamuna noch hinzu.
1987 gab es auch noch einen reichen Fischbestand, Flussdelphine, Schildkröten usw. Allein die Ganges-Schildkröten scheinen so robust zu sein, dass sie heute speziell gezüchtet, und dann ausgewildert werden um dabei zu helfen, den Fluss sauber zu halten. Die Schildkröten ernähren sich z. B. von toten Fischen usw., und eben auch von Leichenresten. Sie werden bis zu 1 mtr. groß, gelten als aggressiv und haben sehr kräftige Kiefern.
Heute kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass der Fluss biologisch tot ist. Hinzu kommt noch, dass die Leichenverbrennung Dioxine freisetzt, die zur Luftverschmutzung beitragen. In der Zwischenzeit sind einige Krematorien entstanden, aber ein Großteil der Leichenverbrennungen findet nach meinen Beobachtungen immer noch an dafür bestimmten Ghats statt.
Mein Aufenthalt in Varanasi verlängert sich unfreiwillig, da ich einige Zeit mit einer heftigen Bronchitis zu tun habe. Umso mehr genieße ich die anschließende Zeit, und verbringe als erstes einen ganzen Tag am Ganges. Die Rikshaw fährt mich zum Dashashwamedh Ghat, dem sog. Main Ghat und setzt mich etwas oberhalb in der Altstadt ab. Durch das Gedränge auf den Straßen arbeite ich mich voran zu den Stufen, die hinunter zum Ufer führen, vorbei an einer langen Schlange von bettelnden Menschen. Ich suche mir einen etwas erhöhten Platz am Flussufer und sitze lange Zeit einfach nur hier, schaue und staune…. Auf den untersten Stufen des Ghats und im Wasser stehen dutzende von Menschen, die sich hier waschen, ihre Zähne mit Zweigen des Neembaumes putzen, ihre rituellen Bäder vollführen, komplett mit zugehaltener Nase untertauchen, sich mithilfe kleiner Messinggefäße mit Gangeswasser übergießen, sich heiliges Wasser aus dem Ganges in Flaschen abfüllen, und auch Wäsche waschen. Auf dem Vorplatz oberhalb der Stufen suchen Kühe nach Fressbarem, kleine Gruppen von Menschen sitzen zusammen und bringen den Tieren Gemüseopfer, Friseure und Fremdenführer bieten ihre Dienste an, von einem der zahlreichen Priester kann man sich segnen lassen, ich fühle mich wie in einem Film, der im alten Indien spielt…. Auf einer kleinen Rasenfläche abseits der Ghats schaue ich gebannt einem Schlangenbeschwörer zu, der vor sich einen kleinen Korb mit mindestens einer großen und einer kleinen Kobra hat, die sich zwischendurch mal aus dem Staub macht, und wieder eingefangen werden muss. Der alte, weisshaarige und weissbärtige Schlangenbeschwörer spielt auf seiner Flöte, bewegt sie hin und her, und die Kobra folgt mit ihrem Kopf. Wer nun meint, eine Kobra sei musikalisch, der irrt, sie folgt nur den Bewegungen…(wird fortgesetzt)
Die 90er Jahre - Pune, Aurangabad - Shailaja und ihre Brüder Shridar und Shripad.
In einem Jahr in den 90ern besuchte ich zunächst von Bombay aus Pune, wo ich mich mit einem Bekannten aus Bremen, der Sannyasin war, am Baghwan-Ashram verabredet hatte. Manchmal funktionieren solche Verabredungen, manchmal nicht, und in diesem Fall klappte es nicht. Ich setzte mich auf einen Stein am Eingangstor und hatte mich auf eine längere Wartezeit eingestellt. Nach einiger Zeit kam jedoch die Security, der das wohl verdächtig vorkam, ich musste ich meinen Platz räumen und hinterließ noch eine Nachricht am „Schwarzen Brett“.
Nach einigen Tagen in Pune, setzte ich mich dann in einen Bus nach Aurangabad. Viele werden es kennen, wie anstrengend und abenteuerlich es manchmal ist, mit dem Bus durch Indien zu reisen, ganz besonders dann, wenn du mit einem sog. Video-Coach/Bus fährst, bei dem im vorderen Teil ein Video-Monitor installiert ist, auf dem während der ganzen Fahrt, meistens sehr laut und mit schlechtem Sound Videos abgespielt werden.
Und auch der indische Straßenverkehr ist bekanntermaßen sehr chaotisch, insbesondere auf den Highways, die die großen Städte verbinden. Die Unfallrate ist sehr hoch, man sieht absolut gewagte Überholmanöver, und entsprechend dann auch häufig an den Straßen oder in den Straßengräben Autowracks liegen.
Und dann passierte es auch unserem Busfahrer: Irgendwo auf dem Highway von Pune nach Aurangabad setzte er mit unserem vollbesetzten Bus zu einem Überholmanöver an, um einen kleinen Transporter zu überholen, auf dessen Ladefläche einige Landarbeiter saßen, ein LKW kam ihm entgegen, er musste schleunigst wieder vor dem Transporter auf die linke Straßenseite kommen, schaffte es nicht ganz, rammte mit dem Hinterteil des Busses den Transporter, der sich um die eigene Achse drehte und auf der anderen Straßenseite in den Straßengraben stürzte.
Dann wurde die Situation brenzlig. Wir saßen erst einmal alle wie geschockt im Bus. Es kamen binnen sehr kurzer Zeit nicht nur etliche Menschen aus der direkten Umgebung um zu helfen, die verwundeten Menschen zu versorgen, es kamen auch wütende Menschen mit Steinen und Knüppeln bewaffnet auf den Bus zugelaufen und fingen an, den Bus mit Steinen zu bewerfen. Wir alle bekamen Angst und verließen schnellstens den Bus. Ich hatte über ähnliche Vorfälle schon einmal etwas gelesen und auch darüber, dass Busfahrer in solchen Situationen verprügelt wurden, konnte mir das aber nicht wirklich vorstellen.
Einige Zeit stand ich noch wie benommen am Straßenrand, nahm dann meinen Rucksack, und ging ein Stückchen die Straße entlang. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis ein Bus hielt, der nach Aurangabad fuhr. Ich saß während der ganzen Zeit neben einem netten Studenten, dem ich die ganze Geschichte dann erst einmal erzählen konnte.
In Aurangabad folgte ich dann einer Unterkunftsempfehlung meines „Lonely Planet“. Ich war vor allem auch dorthin gefahren, um die Höhlen von Ajanta und Ellora zu besuchen, aber auch, um mir die Stadt anzusehen, unter anderem auch den kleinen Nachbau des Taj Mahal, das Bibi Ka Maqbara.
An einem meiner Tage in Aurangabad kam ich zu einem kleinen Tempel, den ich dann mehrmals besuchte, weil es ein schöner, ruhiger Ort war. Ich konnte bei einem Feuerritual der Priester zusehen, der Tempelwächter lud mich auf einen Tee in seine Unterkunft ein, und eines Tages sprach mich ein Junge an, der mit seinem Bruder den Tempel besuchte. Wo auch immer du in Indien unterwegs bist, begegnest du geschäftstüchtigen Händlern, Bettlern und freundlichen, neugierigen, Menschen, die dich nach dem „Woher“, „Wohin“, „Warum“ fragen, dich im Bus oder im Zug einfach nur interessiert anschauen, ein gemeinsames Foto haben möchten. Ja, und Shripad, der sich mit seinem Bruder Shridar im Tempel aufhielt fragte mich, ob ich ihm einmal Briefmarken aus Deutschland schicken könnte. Wir tauschten unsere Adressen aus, und weil ich mein Versprechen einhalten möchte, schicke ich Shripad, bald nachdem ich wieder zuhause bin, einen Umschlag mit Briefmarken zu. Wir tauschten gelegentlich Briefe aus und vereinbarten, dass ich nochmals nach Aurangabad komme. Bei meinem ersten Besuch in Aurangabad hatte ich mir den kleinen Nachbau des Taj Mahal, das Bibi Ka Maqbara, angeschaut, war auch hier wieder durch die Stadt gestreift, um sie einfach zu erleben und möglichst viele Eindrücke in mich aufzunehmen. Im Jahr darauf kam ich dann wieder nach Aurangabad. Ich hatte für diesen Besuch mehr Zeit eingeplant, um auch die Höhlen von Ajanta und Ellora zu besuchen. Kurz nach meiner Ankunft rief ich bei Familie Pande an und wurde eingeladen, sie zu besuchen. Gesagt, getan. Die Familie bewohnte in einem besseren Viertel der Stadt den unteren Teil eines kleinen Reihenhauses. Ich lernte Herrn Pande kennen und erfuhr erst später, dass seine Frau schon vor einigen Jahren verstorben war, und er mit seinen beiden Söhnen und der Tochter Shailaja diese kleine Wohnung mit zwei Zimmern und einer Küche bewohnte. Im hinteren Zimmer stand das eine von zwei Betten der Wohnung, was dem Familienoberhaupt vorbehalten war, und im gleichen Raum schliefen auch die beiden Brüder auf ausgerollten Matratzen. Im Raum davor befand sich eine kleine Küche, und sozusagen im Eingangsbereich stand noch ein Bett, in dem Shailaja schlief. Herr Pande sen. war Ingenieur in einer Fahrradfabrik, seine Söhne und seine Tochter besuchten gute Schulen am Orte. Nachmittags trafen wir uns bei Shridar und Shripad, Shailaja bereitete uns gefüllte Chapati zu, Freunde der drei kamen zu Besuch, wir spielten Spiele, planten gemeinsame Unternehmungen usw. In der oberen Hälfte des Hauses wohnte eine musikalische Familie. Dort saßen wir zusammen, um dem Sitar- und Tanpuraspiel der Frau des Hauses zu lauschen, die Musiklehrerin war. Bei ihr bekam ich auch ein wenig Unterricht im Tanpuraspiel.
Shripad, Shridar und ich machten gemeinsame Ausflüge zu den Höhlen von Ellora, sie machten mich mit mehreren Leuten bekannt, u. a. dem alten Professor Karkare, einem Freund ihres Vaters, ich wurde zu einem “Herrenabend” eingeladen, besuchte abendliche Schulklassen, die die beiden Brüder unterrichteten, hatte selbst die Gelegenheit, mit Schulklassen zu diskutieren, lernte Leute kennen, die in verschiedenen sozialen Bereichen arbeiteten, und lernte auch einen Maler kennen, der einen Bilderzyklus zu den 18 Kapiteln der Bhagavad Gita geschaffen hatte. Von ihm habe ich dann das Gemälde erworben, was zum 12. Kapitel der “BG” gehört.
Eines Tages war ich bei einem Staatsanwalt auf einen Tee eingeladen. Ich dachte natürlich, wir würden die Teestunde gemeinsam mit ihm und seiner Frau verbringen, aber ich lernte einen sehr befremdlichen Teil der indischen Kultur kennen: Er und ich saßen zusammen im Wohnzimmer zusammen, während seine Frau im Hintergrund in der Küche saß, und uns bediente.
Eines Morgens luden mich Shridar und Shripad ein, mit Ihnen zu einem kleinen Gelände zu gehen, dass als Exerzierplatz diente. Es waren noch zwei oder drei andere da, und ein Teilnehmer, den ich am Abend zuvor bei dem “Herrenabend” kennengelernt hatte, gab Befehle aus, zu denen die Anwesenden “strammstanden”, und auch die indische Nationalhymne sangen. Ich selbst durfte (zum Glück) nicht mitmachen, und sah mir alles aus einiger Entfernung an.
(wird fortgesetzt)
Mitte Januar 2015 – Orissa/Odisha – Bubaneshwar an der Nord-Ostküste Indiens
Ich habe die große Freude, in dieser Woche an 6 Abenden in Bubaneshwar am Rajarani Tempel-Music-and Mukteshwar Tempel-Dance Festival teilnehmen zu können und habe den Eindruck, dass diese beiden Festivals noch zu den kleinen, intimen Festivals in Indien gehören, obwohl sie schon vor mehreren Jahren eingerichtet wurden. Drei Abende Tanz, drei Abende Musik. Es sind diese stimmungsvollen indischen Abende, am indischen Himmel beginnt es langsam zu dämmern, und ich liebe diese Abende mit dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, unbeschreiblichen indischen Atmosphäre. Die Tempel mit ihren Parkanlagen sind wunderbar illuminiert, Mitte Januar ist es in Odisha noch etwas kühl. Einige hundert Zuschauer, wahrscheinlich eher weniger, finden sich im Laufe des Abends ein, kommen und gehen, flanieren, suchen sich ihre Plätze. Die ersten Reihen der Bank-, bzw. Stuhlreihen sind der örtlichen "Prominenz" vorbehalten. Man sieht das an weiss bezogenen bequemen Bänken. Für die „nächstwichtigeren Menschen“ sind dann einige Stuhlreihen ab Reihe 4 vorgesehen, diese Stühle sind noch gepolstert und weiss bezogen. Für das Volk sind dann etliche Reihen der bekannten einfachen indischen Plastikstühle aufgebaut. Das sind eigentlich die Reihen, in die ich eigentlich auch gehöre. Ich entscheide mich aber für eine Sitzgelegenheit in der Sektion „nächstwichtigere Menschen“, weil die Sicht hier einfach besser ist. Wahrscheinlich hätte es auch niemanden gestört, wenn ich mich in die erste Reihe gesetzt hätte. Ein Ordner kommt vorbei, schaut auf mein Ticket für die hinteren billigen Plätze und sagt nur „OK“. Ein anderer Ordner geht durch die Reihen und schwenkt einen Eimer mit Holzkohle, in dem Schalen von Kokosnüssen, gemischt mit anderen Zutaten „verkokelt“ werden, um die Moskitos zu vertreiben. Ein leichter Qualm mit einem wunderbaren Duft zieht durch die Luft. Im hinteren Teil des Geländes sind zwei Imbissbuden aufgebaut. Hier bekommt man natürlich Samosas und Pakoras mit Ketchup oder auch grüner Soße. Zwei Musikabende habe ich ganz besonders genossen, stand doch zumindest einer der Musiker schon lange auf meiner Wunschliste: Der Flötist Hariprasad Chaurasia mit seiner Bansuri (indische Bambus-Querflöte) gestaltete einen wunderbaren Abend mit seinem Emsemble. Der andere Musiker ist Ustad Amjad Ali Khan mit seiner Sarod. Jeder Abend dieses Festivals wird mit einer Puja eingeleitet. Und dann genieße ich wunderbaren indischen Tanz und indische klassische Musik an unvergesslichen indischen Abenden…..
Indien - Goa Spätherbst 2016
Wir sind wieder in Indien unterwegs, und das Land ist wieder einmal alles, was es so sein kann: Schön, anstrengend, schmutzig, sauber, laut, erholsam, bunt, überraschend, herausfordernd...
Oma Joaquina Fernández vermietet hier mit ihren vier Töchtern, die selbst schon Familien haben, ein kleines Apartmenthaus mit 8 Wohnungen. Zur Zeit sind wir die einzigen Bewohner des Hauses, da die Saison noch nicht angefangen hat. Goa war ja portugiesisch, und so sind auch typische Namen vorzufinden wie Fernández, de Souza, da Rosa, Pirez usw.. Wir haben vom Balkon einen Blick auf einen kleinen Garten mit Palmen. Gelegentlich, bisher zum Glück nur nachts, fällt eine Kokosnuss von einer Palme mit lautem Knall auf die Erde. Laut ist es ohnehin öfter, wenn kleine Gruppen von streunenden Hunden, vor allem nachts, manchmal ihre Kämpfe ausführend, kläffend, jaulend und bellend durch die Gegend ziehen. Wenn es nachts ruhig ist, hören wir das Meer rauschen. Die Flut steigt an, da es auf Vollmond zugeht, der in diesem November der größte seit 70 Jahren sein soll.
Morgens kräht dann irgendwo ein Hahn, und auch die Vogelwelt erwacht so langsam, allen voran die Krähen in Überzahl. Im Laufe des Tages kommen dann andere interessante Vogelstimmen dazu wie der Eisvogel und andere einheimische Vogelarten, die wir im Garten ebenfalls gut beobachten können. Ziemlich pünktlich um halb sieben ist dann eine Fahrradhupe zu hören: Der Bäcker radelt durch die Gegend, auf seinem Gepäckträger einen großen Plastiksack mit Brötchen, goanesischem Brot, Samosas usw. Abends kommt er noch mal, und zwischendurch kommen dann evtl. noch der Haushaltswarenhändler mit einem völlig überladenen Fahrrad mit Besen, Schüsseln, der Deckenhändler usw. Gelegentlich sind während des Tages und auch nachts Feuerwerke zu hören. Es ist die Zeit um Diwali, und an kleinen Tempeln werden zur Puja auch Knallfrösche gezündet.
Letzten Sonntag war wieder einer vielen indischen Feiertage. Eine große Gruppe von Frauen von außerhalb war nach Goa gekommen, um hier am Strand ihre Andacht/Puja zu halten und ein vom Priester geweihtes Abendessen (Früchte) einzunehmen.
Direkt nebenan zogen Fischer ihre Netze mit einem leider sehr spärlichen Fang ein, darunter auch einige kleine Seeschlangen, die verzweifelt versuchten, wieder ins Wasser zu gelangen. Auch das ist Indien: Zuschauende indische Männer schnappten sich ein, zwei Seeschlangen mit Daumen und Zeigefinger und liefen mit ihnen wie Trophäen durch die Gegend und erschreckten auch noch kleine Kinder damit. Eine sehr bizarre und befremdliche Szenerie.
Winter 2016
Nach unserem Aufenthalt in Goa sind wir zunächst wieder einmal, zum 3. mal, in Auroville (auroville.org/) und verbringen hier die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel 2016/17, bevor wir weiterreisen nach Puttaparthi, im Staat Andra Pradesh, zentral in der südlichen Hälfte von Indien. Puttaparthi, ursprünglich Gollapalli, hat ca. 15000 Einwohner und ist vor allem dadurch bekannt, dass hier ein bekannter indischer Guru, Sai Baba, geboren wurde und bis zu seinem Tod vor einigen Jahren gelebt und gewirkt hat. Viele werden ihn besser kennen wie ich, weswegen ich mein oberflächliches Hören-Sagen-Wissen hier nicht vertiefen kann und will. Er hat hier u.a. ein College, ein gutes Hospital (soviel ich weiss, mit kostenloser Behandlung), ein Ausbildungsinstitut für indische Musik gegründet, eine große Sportanlage, eine Musikhalle usw. gebaut, und natürlich gibt es einen großen Ashram, wenn man so will, eine Art klosterähnliches Meditationszentrum (der Begriff Ashram stammt aus dem Sanskrit = Ort der Anstrengung). Nachmittags werden u. a. in der großen Meditationshalle Sanskrit - Mantren und Bhajans (religiöse Gesänge) rezitiert und gesungen, und gelegentlich gibt es Konzerte mit indischer Musik, vielfach dargeboten von Studenten der hiesigen Musikakademie.
Menschen (Pilger) aus aller Welt (Europa, Südamerika, Nordamerika, Russland, aus etlichen asiatische Staaten und natürlich viele Inder usw.) kommen nach Puttaparthi, um sich in dem Zentrum/Ort für kürzere oder längere Zeit aufzuhalten. Ich habe mich für diese kurze Zeit unseres Aufenthaltes dem internationalen Chor angeschlossen, der sich jetzt, in der Vorweihnachtszeit fast jeden Tag trifft, um internationale Weihnachtslieder einzuüben.
Der Ort strahlt eine angehme Ruhe aus, die Straßen sind längst nicht so vom Motorverkehr überfordert wie in den meisten anderen Orten, es ist sauber, insgesamt also eine angenehme Atmosphäre. Und auch hier gibt es eine sog. "German Bakery". Wie der Name entstanden ist? Anfang der 70 er Jahre hat ein deutscher "Hippie" in Goa die erste "Filiale" gegründet, hat Kuchen, Gebäck, gutes Schwarzbrot usw. angeboten. Später hat er sein Versäumnis eingestanden, sich den Namen patentieren zu lassen, und so sind an vielen Orten des Landes z. B. Cafés mit dem Namen ( geklaut) eröffnet worden. Zumindest haben sie dann aber meistens ein Brot im Angebot, was einem ordentlichen Schwarzbrot nahekommt, und so auch hier. Es soll aber mindestens noch einen originalen Gründer der " German Bakery" geben. Wie auch immer...
Wir wohnen in einem schönen Apartment in einer ruhigen Straße, hinter der Klinik von Dr. Rao, einem Ayurveda-Hospital (Ayurveda: Das Wissen vom Leben, die traditionelle indische Heilkunst). Es kommen Menschen aus aller Welt, um hier zu kuren oder sich wegen ihrer Beschwerden behandeln zu lassen. Dr. Rao, inzwischen mindestens 95 Jahre alt, hat sich schon vor längerer Zeit zur Ruhe gesetzt, und andere Familienmiglieder, ebenfalls Ayurveda-Ärzte führen die Praxis weiter.
Unser Apartment hat zwei Balkone. Auf beiden haben sich Tauben niedergelassen. Auf einem Balkon hat eine "Täubin" sogar zwei Eier gelegt, wobei allerdings vermutlich einiges "schief gelaufen" ist. Sie hat erst die Eier gelegt, und hinterher fiel beiden wohl noch ein, dass ja eigentlich erst ein Nest gebaut werden muss. Jetzt sitzt "sie", allerdings nur teilzeitig auf den Eiern, die ansonsten auf dem Balkon durch die Gegend rollen, und "er", aber auch eher halbherzig, kommt dann und wann mit einem Zweiglein angeflogen, um am Nest zu bauen. Also - die ganze Aktion läuft eher wenig strukturiert als gut geplant und wird wohl nicht wirklich zum Erfolg führen.....
Abends erwachen dann diverse Insekten, und in der Dunkelheit werden momentan etliche Dutzend "Mitglieder" einer speziellen Wespen/Bienenart vom Licht angezogen und tummeln sich auf den Fliegengittern der Türen und Fenster. Plötzlich verschwinden sie dann wieder. Um unser Haus herum liegen einige andere kleine Gehöfte, mit jeweils zwei bis vier Kühen. Sie sind an Bäumen auf den Grundstücken angebunden, der ganze Wohlstand der kleinen Farmer. Es ist berührend zu sehen, wie jeden Morgen die Tiere gepflegt werden. Sie werden ausführlich gebürstet, gestriegelt, mit Wasser abgesprüht oder mit einem Schlauch abgespült. Die Kühe stehen dabei ganz still und scheinen es zu genießen...
Ein deutscher Mitbewohner des kleinen Apartmenthauses, in dem wir wohnten fragte mich einmal, ob ich denn, wie er, auch einen Guru hätte, was ich spontan verneinte. Ich reise seit mehr als 30 Jahren in Indien, bin aber nie gezielt in einen Ashram gefahren, habe nie nach einem Guru gesucht, was für viele andere ein wichtiger Grund einer Reise nach Indien ist. Mir war immer Buddha mit seiner Lehre, und die Beschäftigung mit anderen asiatischen Philosophien wie dem Tao und dem Hinduismus mit seiner Yoga-Philosophie und das Studium der Schriften verschiedener Weisheitslehrer eine wichtige Richtschnur meines Lebens. Die Dinge, Erlebnisse, Menschen in Indien haben mich gefunden, ich habe nicht mit irgendwelchen Erwartungen nach ihnen gesucht...
Ein paar Gedanken über indische Gurus:
Es gibt Gurus (spiritueller Lehrer, Weisheitslehrer, der Guru ist derjenige, der die Dunkelheit vertreibt), die seriös oder unseriöse Scharlatane sind, Gurus, die einfach, bescheiden und schlicht leben, andere, die pompös leben, sich feiern lassen, die einen Personenkult betreiben, alles ist in Indien möglich. Wie auch immer - die Guru - Tradition ist in Indien uralt, viele Menschen in Indien haben einen Guru, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, bis hin zu Managern und Politikern verbringen regelmäßig jährlich einige Zeit im Ashram ihres Gurus, um dort zu meditieren, Yoga zu praktizieren usw. Und - die Guru - Tradition ist ein ganz normaler, alltäglicher Bestandteil des indischen Lebens. Traditionell war es so, dass z. B. derjenige, der in die Yogapraxis eingeweiht werden wollte, sich einen Guru suchte, bei dem er für meistens mehrere Jahre "in die Lehre" ging, oder wer ein Musikinstrument lernen wollte, suchte sich auch einen Guru dafür, der ihn mehrer Jahre unterrichtete.
Dass Indien wichtige spirituelle Weisheitslehrer hervorgebracht hat und hervorbringt habe ich bewusst erstmals Anfang der 70 er Jahre wahrgenommen. Ich denke, dass es grundsätzlich die damalige Zeit des Umbruches Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war, in der indische Gurus in der westlichen Welt bekannter und mehr und mehr wahrgenommen wurden. Damals war es der Maharesh Mahesh Yogi (ein nach meiner Auffassung wenig seriöser Lehrer), der durch die Beatles populär wurde. Es war ja eine Zeit eines beginnenden Umbruchs im Denken vieler Menschen, fast ein Paradigmenwechsel. Allgemein formuliert, stimmten viele alte Werte (der kapitalistischen Welt) nicht mehr, und die Sehnsucht nach anderen, sinnvolleren, geistigen Lebensinhalten, weg von der Äußerlichkeiten zur Innerlichkeit, der Begegnung mit sich selbst, wurde immer wichtiger. Immer mehr Menschen reisten nach Indien, angefangen bei den Hippies, meditierten, machten Yoga und lauschten Vorträgen von weisen Männern. In den USA entstanden erste Encounter Groups und neue Therapieformen wie z. B. Gestalt- und Körpertherapien...
Man darf aber nicht übersehen, dass Indien bereits viel früher eine große Anziehungskraft auf bekannte Menschen hatte und dass auch bekannte Inder, wie z. B.
Tagore oder Swami Vivekananda, Sri Aurobindo nach Europa oder in die USA reisten oder dort Lebenszeit verbrachten, von Gandhi ganz zu schweigen.
Berühmte frühe Indologen, die schon ab dem 17ten Jahrhundert Indien erforschten, waren von Humboldt, Rückert, die Gebrüder Schlegel, Max Müller u.a.. Bei Gelegenheit, auch an anderer Stelle, noch mehr darüber.
Winter 2017 - Kerala, Südindien
Wir sind wieder für drei bis vier Monate in Indien. Für mich ist es jetzt der zwanzigste Aufenthalt in meiner zweiten Heimat. Die Lust am “Herumreisen” ist im Laufe der Jahre und nach mehreren Aufenthalten zurückgegangen, das Interesse nach dem Verweilen an einem Ort hat zugenommen, und mit der Länge der Aufenthaltsdauer an nur einem Ort kommt fast ein wenig das Gefühl auf, in zwei Ländern zu leben, speziell dann, wenn sich am Aufenthaltsort dann auch ein neues Netz sozialer Kontakte entwickelt. Es ist auch ein Experiment, für längere Zeit an nur einem Ort zu leben, sich einzurichten, natürlich unterbrochen durch den einen oder anderen Abstecher in einen anderen Ort. Wir haben viele Orte und Plätze in Indien gesehen, erfahren, aber Indien ist unergründlich...…
Seit Anfang November sind wir hier und konnten uns bei einem lieben, älteren Ehepaar, Hindus, 70 und 80 Jahre alt, in ihrer Wohnung in der oberen Etage und mit eigenem Eingang einmieten.
Nach mehr als einem Monat Aufenthalt sind wir fast Freunde geworden, gehören fast zur Familie, und kennen bereits mindestens die Hälfte des Familienclans von insgesamt 15 Menschen. Immer mal wieder kommt der/die eine oder andere Tochter, Schwiegersohn oder Enkel zu Besuch und wird dann sofort mit uns bekannt gemacht.
Häufig kommen die beiden morgens zu uns hoch und bringen uns ein südindisches Frühstück. Rezepte werden ausgetauscht….
In diesem Jahr war, auch für die hiesigen Menschen, die Monsunzeit ungewöhnlich lang, erst in der ersten Dezemberhälfte klang sie aus. Gelegentlich kamen, meistens abends, beeindruckende Regenschauer herunter, verbunden mit Donnergrollen und Blitzen, die den gesamten Himmel hell erleuchteten. Die kleine Straße vor dem Haus war dann in ihrer ganzen Breite unter Wasser gesetzt und ähnelte fast einem Bach.
Ende November, zum Beginn der “Endphase” der Regenzeit regnete es dann nochmals zwei bis drei Tage fast ununterbrochen, und auf dem Meer in ca. 150 km Entfernung gab es zur gleichen Zeit einen schweren Cyclon, der große Verwüstungen anrichtete und etliche Menschen, insbesondere Fischer auf dem Meer, das Leben kostete.
Am 2. und 3. Dezember feierten die Menschen in Südindien in diesem Jahr ihr Karthikai Deepam www.wikipedia.org/wiki/Karthikai_Deepam, ihr Lichterfest. Es ist ein Brauch, der in Tamil Nadu, Sri Lanka und Kerala celebriert wird. Das Fest hängt immer mit einem Vollmondtag und einer bestimmten Sternenkonstellation zusammen. Zum Abschluß des Festes, in diesem Jahr der Abend des 1. Advent, stellten viele Menschen wieder hunderte von kleinen Öllämpchen auf Grundstücksmauern, Fenster- und Balkonsimse. Es war ein wunderschöner Anblick, als unsere Straße leuchtete. (Fortsetzung folgt)
(Copyright: Detlef Behnken - Fehler, gleich welcher Art sind das geistige Eigentum des Autors:-))(wird fortgesetzt. Fragen, Anmerkungen etc. bitte unter der email-Adresse im Impressum)