Mantras und Göttergeschichten

Ganz grundsätzlich sind Mantras gesungene oder auch gesprochene heilige Silben, Worte und Verse, in der Regel in der alten indischen Sprache Sanskrit. Die Ursprünge der Mantras liegen in den Veden, die ältesten und wichtigsten philosophisch-religiösen Schriften Indiens (vedisches Zeitalter ca. 2000 v. Chr. – 550 v. Chr.) Mantras werden auch als die Hymnen der Veden bezeichnet.

Die vier Veden:
Rigveda (Hymnen)
Samaveda (Lieder, auch Ausgangspunkt der klassischen indischen Musik)
Yayurveda (Opferformeln, Mantras)
Atharveda (magische Formeln)
Zu den Veden gehören die Upanishaden (ungefähre Übersetzung des Begriffes: sich zu Füßen eines Lehrers setzen, der Bedeutung nach aber auch: geheime belehrende Sitzung). Sie werden von Indologen als Kommentare, Auslegung der Veden bezeichnet. In einigen Quellen ist zu finden, dass Veden und Upanishaden zusammen den mindestens 7-fachen Umfang der Bibel haben.

Sanskrit ist die wichtigste Sprache des Hinduismus und galt schon immer als die Sprache der Gelehrten und Weisen. So gut wie alle Schriften und Werke der indischen Philosophie usw. sind in Sanskrit verfasst. Das Wort Mantra kommt von „Manas“ – Geist und tra/tram – Befreiung/Schutz des Geistes (von/vor ständigen Bewegungen des Geistes/der Gedanken.
Bei Georg Feuerstein in „Die Yoga Tradition“ finden wir dazu: „Für das Wort Mantra gibt es kein deutsches Äquivalent. Es leitet sich von der Wurzel man ab („denken“ oder „sich konzentriert befassen“)…. „Das Suffix tra …..steht für das Wort trana, was „errettend“ heißt. Daher gilt ein Mantra als etwas, das den Verstand vor sich selbst rettet…..“.

Mantrasingen ist eine Konzentrationstechnik die hilft, den Geist zu fixieren und zu beruhigen, um so inneren Frieden und Harmonie zu schaffen. Es hat natürlich auch die m. E. wesentlich grundlegendere Funktion, Bestandteil jeder Puja (hinduistisches, religiöses Ritual, Verehrung von Göttern) zu sein. Aus einer Quelle geht hervor, dass die äußeren Handlungen eines hinduistischen Priesters ihren Sinn und ihre Wirksamkeit erst durch das Rezitieren der vorgeschriebenen Worte erhalten.
Krishna Das, einer der prominenten Mantrasänger sagt: „Meine Art zu singen ist, das Mantra die Arbeit machen zu lassen. Ich achte einfach auf das Gebet und wiederhole es so gut ich kann. Ich versuche nicht, Emotionen zu manipulieren, ich versuche überhaupt keine Gefühle zu erzeugen, sie entstehen ganz natürlich.“ „Chanten/Singen (Mantras) ist eine Möglichkeit, mit sich selbst in Kontakt zu treten. Es ist eine Öffnung des Herzens und das Loslassen des Verstandes und der Gedanken. Es vertieft den Kanal der Gnade und ist eine Möglichkeit, im Moment präsent zu sein.“
Die alte indische Tradition sagt, dass ein Mantra mindestens 108 mal wiederholt werden soll. Mit dieser Regel können wir natürlich sehr kreativ umgehen. Mantras werden z. B. auch nur einmal gesungen oder gesprochen oder um ein Vielfaches von 108 wiederholt. Die Zahl 108 hat seit der Zeit des alten Indien insbesondere in der Philosophie, Religion usw. eine besondere Bedeutung. Z. B. haben die buddhistische Gebetsmala oder auch der Rosenkranz 108 Perlen. Des weiteren besagen versch. Quellen, dass es 108 Upanishaden gibt, jede indische Gottheit hat 108 Namen, im Buddhismus gibt es 108 Störgefühle usw.

Welche Arten von Mantras gibt es?
1. Nirguna Mantras (abstrakt, eigenschaftslos, z. B. OM, Soham)
2. Saguna Mantras (mit Eigenschaften, männliche und weibliche Aspekte, z. B. OM NAMAH SHIVAYA)
3. Bija Mantras (Samen Mantras, z. B. OM, HRIM, KLIM)

Das Mantra OM ist in der hunduistischen Lehre das bedeutendste, das grundlegende Mantra, der Urklang, aus dem das Universum entstanden ist. Joachim Ernst Berendt, Musikjournalist und -produzent, *1922, +2000, hat Anfang der 80er Jahre ein wichtiges Buch geschrieben: „Nada Brahma – Die Welt ist Klang“.
Nada Brahma – ein zentraler Begriff der alten indischen Philosophie. Wenn OM der Urklang ist, aus dem alles entstanden ist, schließt man daraus, dass die gesamte klassische indische Kunst, Musik und Tanz, spirituelle Wurzeln hat. Zum ersten Mal wurde OM in den Upanishaden verwendet. Später wurden die drei Klänge A – U – M = OM zum Objekt mystischer Meditationen. Die Ansicht, dass der Kosmos voller Energie ist, ein interaktiver Tanz feinster Schwingungen sei, findet sich bereits im Natya Shastra, einem Werk der indischen Kunsttheorie, ca. 200 vor bis 200 n. Chr. entstanden.

Indien hat eine der ältesten, wenn nicht sogar die älteste Musikkultur dieser Erde. Ihre Anfänge verlieren sich in der Vorgeschichte und gehen vermutlich zurück bis in das 6. Jahrtausend v. Chr. Laut den altindischen mythologischen und historischen Werken, den sog. Puranas, war es der Gott Shiva selbst, der den Menschen 6000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Musik und Tanz lehrte. Nach hinduistischem Glauben ist der Schöpfergott Brahma, der Gott der Sprache, auch der Schöpfer der Musik. Der Göttin Sarasvati, Brahmas Gattin, wird die Entwicklung der Tonleiter zugeschrieben.
Die Vielzahl der Ragas erklären die Hindus durch eine Legende, nach der viele Gopis den Flöte spielenden Krishna mit ihren eigenen Melodien zu bezaubern versuchten. Auf fast allen Abbildungen ist Krishna mit seiner Murali, seiner Flöte zu sehen. Sarasvati wird immer mit ihrer Veena abgebildet, dem südindischen Gegenstück zur Sitar, die eher in der nordindischen Musik zu finden ist.
Neben dem Mantrasingen ist ein anderer, wichtiger Bereich des spirituellen, indischen Lebens der Bhajangesang. Bhajans sind devotionale Gesänge, deren Ursprünge zwar auch in den Veden liegen, insbesondere dem Samaveda, eigentlich aber kultische Ursprünge (Bhakti-Kult) haben und wesentlich aus dem Volk heraus entstanden sind.
Meine Wahrnehmung war und ist, dass Mantras und Bhajans natürlich nicht nur ein wichtiger Teil der Rituale des spirituellen Lebens in Tempeln und an anderen Orten sind, sondern ebenso ein großer Bereich der populären Musik.
Wer Indien bereist hat, kennt das sicherlich: Musik ist allgegenwärtig, in Straßen, auf Plätzen, z. B. aus Lautsprecherboxen, außen an Straßenshops montiert, ertönen z. B. Krishna- oder Shiva Bhajans oder auch heiligste Mantras, wie z. B. das Gayatri Mantra usw..

Im musikalischen Umgang mit Mantras sind der Kreativität eigentlich keine Grenzen gesetzt. Meine Beobachtung in Indien, z. B. in Tempeln war, dass im traditionellen Mantragesang das indische Harmonium vor anderen Instrumenten als Begleitinstrument (das ist die Hauptfunktion des Harmoniums) eine vorrangige Rolle spielt, wobei der Gesang häufig nur von ein oder zwei Tönen begleitet, und ein Ton dann oft als Bordunton (Dauerton) gespielt wird. Man kann das als die alte, traditionelle Spielweise bezeichnen, die sich dann auch an Ragas (melodische Grundstrukturen der klassischen indischen Musik) orientiert. Diese traditionelle Spielweise findet sich noch sehr oft in Tempeln. Gleichzeitig bestehen aber große Freiheiten im Umgang mit Mantras, ohne festgeschriebene Melodien und mit großer Vielfalt in der Instrumentierung.

Zunächst möchte ich es bei diesen Ausführungen, die sicherlich noch ergänzt werden (können), belassen. Mögen sie dazu anregen, das Thema weiter zu vertiefen.

OM OM OM

Gelegentlich möchte nun nach und nach einige selbst erstellte Videos von Mantras hinzufügen.
Beginnen möchte ich mit einem Ganesha Mantra. Ganesha ist eine der populärsten Gottheiten im Hinduismus.
Ganesha in der indischen Mythologie der Gott und „Herr der Hindernisse“, sowohl der Beseitiger als auch der Setzer von Hindernissen, wenn sich jemand ihm gegenüber respektlos verhält oder diese für ihn notwendig sind. Er wird angerufen vor großen Unternehmungen, Geschäften, Reisen usw.. Ganesha wird als naschhafter, gnädiger, gütiger, freundlicher, humorvoller, jovialer, kluger, menschlicher und verspielter, schelmischer Gott vorgestellt, der oftmals Streiche spielt. Er ist einer der wichtigsten, populärsten, zugänglichsten Götter Indiens überhaupt, der fast an jedem Straßenschrein verehrt wird. Er ist der Sohn des Shiva und der Parvati, mit denen er zusammen das Idealbild einer Hindu-Familie verkörpert. Ganesha ist von allen hinduistischen Göttern der mit der größten Präsenz und Popularität außerhalb Indiens. Es gibt viele Geschichten, Mythen, Legenden über ihn, sein Leben, die Enstehung seiner Stoßzähne, sein Streiche usw. Hier eine kleine Geschichte über seine Weisheit:

Ganesha und die Weisheit
Viele Mythen handeln von Ganeshas unendlicher Weisheit und seinem großen Einfallsreichtum. Sie erzählen beispielsweise davon, wie Shiva und Parvati ihre Kinder Ganesha und Karttikeya zu einem Wettbewerb aufforderten, bei dem der Sieger als erster verheiratet werden oder nach anderen Aussagen eine Frucht als Belohnung erhalten sollte. Die Aufgabe bestand darin, die Welt als erster zu umrunden. Kartikeya nahm seinen Pfau und schaffte es innerhalb eines Tages. Der kluge Ganesha umrundete einfach dreimal seine Eltern, die für ihn das Universum darstellten. Von seiner Pfiffigkeit beeindruckt erklärten seine Eltern Ganesha daraufhin zum Sieger.

||:OM GAM GANAPATAYE NAMAHA:||
||:GANESHA SHARANAM:||
Ich bringe Ganesha meine Ehrerbietung entgegen
Ich suche Zuflucht bei Ganesha

Ein Shiva Mantra:

||:Shiva Shankara Narayana Vasudeva:||
||:Om Namah Shivaya – Om Namah Shivaya:||

Die zweite Zeile dieses Mantras ist eines der bekanntesten und ältesten Mantras. Wie die erste Zeile entstanden ist, woher sie kommt, konnte ich bisher nicht ergründen.

Die zweite Zeile des Mantras beginnt mit OM, dem bedeutendsten, grundlegendsten Mantra. Hiermit beginnen viele Mantras, auch im Buddhismus. Shiva, eine der populärsten Gottheiten im Hinduismus wird mit diesem Mantra verehrt. Om Namah Shivaya – ich verbeuge mich vor Shiva und bringe ihm meine Ehrerbietung entgegen. Shiva gilt unter den hinduistischen Gottheiten als der Zerstörer. Nicht aber, um zu zerstören, sondern um Grundlagen für Neues zu schaffen.

In der ersten Zeile heißt es Shiva Shankara: Shankara wird in der Literatur unterschiedlich übersetzt/definiert. Ich zitiere die indische Seite www.templepurohit.com 

1. „Das Wort "samkara" oder "sankara" ist eine Kombination aus zwei Wörtern: "sam "+"kāra". Sam" bedeutet "gut" und "kāra" bedeutet "Handelnder", daher bedeutet "samkara" "Handelnder guter Taten".
2. „Das Wort "Shankara" ist eine Kombination aus zwei Wörtern, nämlich "shanka" und "hara". "Shanka" bedeutet Zweifel und "hara" bedeutet Zerstörer. Das Wort "Shankara" bedeutet also: Derjenige, der den Zweifel vernichtet oder besiegt. Shankara zerstreut alle Zweifel. Durch seine dynamische Antwort auf unsere Gebete zerstört er all unsere Zweifel und festigt unseren Glauben an Ihn“. Sicherlich gibt es aber auch noch andere Übersetzungen/Definitionen.

Narayana und Vasudeva sind andere Namen für Vishnu, neben Shiva und Brahma die dritte wichtigste Gottheit der Trimurti (göttliche Dreiheit, drei Formen: Brahma der Schöpfer, Shiva der Zerstörer, Vishnu der Erhalter). Vishnu ist der Erhalter und Vishnu-Mantras werden als Friedensmantras gesungen.

Weitere Mantras folgen. Die Mantras können bei Interesse gerne auch abgespeichert und geteilt werden: Die Wiedergabe starten, dann Rechtsklick und "Video speichern unter..." anklicken.

Quellen und weiterführende Literatur: Z. B. Seminarvorträge von Ram Vakkalanka bei Yoga Vidya, Georg Feuerstein – Die Yoga Tradition, Wikipedia, Yogawiki, verschiedene Schriften aus dem Yoga Vidya Verlag wie z. B. das Yogalehrer/innen-Handbuch und übersetzte Schriften indischer Philosophie, verschiedene Stichwortsuchen im Internet, um einige wichtige Hinweise zu geben.

Fehler, gleich welcher Art sind das geistige Eigentum des Autors ;-)

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19.01.2025
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©Detlef Behnken